Dezember-Anfang: östlicher Schneesturm

Verfasst von Kristel Vilbasteloodusenaine@hot.ee
Fotos von Arne Ader
 
Kräftiger Wind sträubt das Gefieder des Sperlingsmännchens. Haussperling
 
Schnee dringt in Augen, Nase, Ohren. Weder Mütze noch Schal halten diesen weißen Schneesturm auf. Für einen Augenblick den Mund zum Luft holen geöffnet und der Mund ist gänzlich mit Wintergeschmack gefüllt.
 
Die vier Wetterzeichen der Woche:
sich duckende Elster,
schneegekrümmte Bäume,
meterhohe Schneewehen
und zwei Tage Schneesturm.
 
Es war so gut, die freudigen Berichte der Kommunalbehörden zu lesen, dass alle auf die Ankunft des Winters vorbereitet seien. Wie Schneepflüge und Salzladungen bereit stehen, die orangefarbenen Schneewehenzäune an den Straßen ... Und dann kam er, der Augenblick, als der Vollmond sich wendete und der Oststurm losging. Zugegeben, am ersten Tag des Schneesturms schien alles in Ordnung zu sein, aber zum Freitag hin zeigte Väterchen Schneesturm, dass wenig Sinn in den von den Menschen vergeudeten Worten lag. Am Morgen gab es eine Schneewehe außen vor der Tür, und ich schaffte es hier in Raadi mit viel harter Arbeit kaum, die Tür aufzudrücken. Und die Menschen, die in der Schneesturm-„Gemeinde“  am Peipussee lebten, konnten sogleich ihre Schneeschaufeln zücken. Weil das Wissen, dass der Schneesturm den Schnee so fest verdichtet, dass man ihn später nur noch mit einer Brechstange losschlagen kann, sich ins Gedächtnis gegraben hat. Zu Beginn des Schneesturm-Morgens war es einfach, man nahm eine Schaufel voll, und das wurde schlicht vom Winde verweht. Aber um 10 Uhr waren alle Straßen Tartus so überlastet, dass es klüger war, das Auto zu Hause zu lassen und zu Fuß an den Schneeverwehungen entlang in Bereichen zu gehen, die freigeblasen waren. Aber es war merkwürdig, das Vertrauen der Menschen in ihre Eisenpferde zu beobachten. Ich sah, wie ein Familienvater sein kleines Kind zusammen mit seiner Frau ins Auto packte und mit großer Geschwindigkeit in Freie startete ... und in eine Schneewehe raste. Natürlich rührt sich ein solches Auto nicht mehr, auch nicht, wenn man es schiebt. Auf die Empfehlung hin, zu Hause eine Schneeschaufel zu holen, trat der Mann gegen die Schneewehen und wiederholte stur: „Ich muss zur Arbeit!“ Mir gefiel der Mann vom technischen Hilfsdienst viel besser, der zu dem hilfesuchenden Mann eilte, gemeinsam fanden wir für das Auto einen Weg entlang der Wiesen, und so kam er dorthin, wo er hinwollte. Aber es ist seltsam, dass Padaorg* gerade zwei Jahre zurück liegt und es ist so, als ob die Menschen sich daran überhaupt nicht erinnern. Man kann gegen die Kräfte der Natur nicht kämpfen, man kann sich nur vernünftig verhalten und auf die eigene Chance warten.
 

*) Padaorg: Anfang Dezember 2010 strandeten nahe Nigula in Virumaa eine Menge Autos und mehrere Reisebusse auf der Straße im Schnee, als sich die Fahrzeuge mehr als einen Tag lang nicht mehr fortbewegen ließen. 180 Leute wurden evakuiert und unter anderem in einem Sport- und einem Gemeindezentrum untergebracht. Link

 
Schneesturmwehe um einen Stein herum
 
Jaulen des Windes
Der Sturm, dessen nebelige Voraus-Schleier bereits zu Wochenbeginn in Estland ankamen, erreichte seine größte Stärke am Freitagmittag. Er stiebte die größte Schneemenge in die südöstliche Ecke von Võrtsjärve, nach Massumõisa, wo in der Wetterstation 28 Zentimeter Schnee gemessen wurden. Aber tatsächlich erwies es sich im Finnischen Meerbusen als am Schlimmsten, wo mit 29m/sek die höchste Windgeschwindigkeit seit Beginn der Messungen bei Kirkonummi in der Insel-Wetterbeobachtungsstation Mäkilouto aufgezeichnet wurden, und die Wogen sich bis zu einer Höhe von über 9 Metern türmten. Einige, die auf dem Linienschiff Tallinn - Helsinki waren, beschrieben eine Fahrt, bei der die Menschen nur noch spien und Gegenstände nur herunter polterten. Auf dem Festland riss der Wind wieder Stromleitungen nieder, weil trotz des starken Windes an manchen Stellen der Schnee sich auf den warmen Ästen der Bäume hielt, und sie auf die Leitungen fielen. Tausende von Häusern waren wieder ohne Strom.
 
Schwarten für Meisen
Es war faszinierend, das Vorüberziehen des Sturmes zu beobachten, wie vor allen anderen die Elster aus dem Busch kroch und sich auf die Suche nach Futter machte. Eine halbe Stunde später kamen Meisen und Sperlinge zum Futterhäuschen. In den Straßen der Stadt brach ein rechter Kampf aus zwischen Dohlen und Krähen, die sich über jede heruntergefallene Hamburger-Verpackung stritten. Interessant ist, dass sogar ein paar Saatkrähen zurück sind in der Stadt. Die Vögel wurden freilich von dem Schneesturm in wahre Nöte gestürzt, und es war gut zu lesen, was sich Leute über die Befüllung von Futterhäuschen erzählten und wie den gefiederten Freunden zu helfen sei. Eine freundliche Empfehlung des Umweltschutzamtes, mit dem Füttern der Vögel zu beginnen, wäre nützlich gewesen, ihr Verbot hallt noch in den Köpfen vieler Menschen nach. Wenn man eine Angelegenheit regelt, dann muss man dies konsequent tun.
 
Das Eis auf den Seen ist dünn. Es trägt eine Ente, aber keinen Schwan. Gänsesägerweibchen und junger Höckerschwan
 
Nordlichter flackern
Der frühe Sonntagmorgen war im südlichen Estland bereits sonnig, auf den Kämmen der Schneewehen glitzerte der Schnee. Nordestland jedoch musste einem fast 10 Minusgrade kaltem Hauch aus dem Norden standhalten. Der arktische Ozean war bereits 26 Grad kalt. Andrus Muller, der in Samland arbeitet, 500 Kilometer nördlich der Heimat des Weihnachtsmannes, ließ uns wissen, dass es gerade jetzt dort wunderbare rosa und schnell flackernde Nordlichter gab. Es wird sich sicherlich lohnen, auch hier in klaren Nächten aus der Stadt heraus zu fahren und nach Norden zu schauen.
 
Das Eis ist dünn!
Die Gewässer beginnen nun langsam zuzufrieren, und obwohl auf dem Peipussee noch Wellenhöhen gemessen werden können, ist es wahrscheinlich, dass die Eisgrenze mit dem Frost in der kommenden Woche in den See hinaus wandern wird. Der Emajõgi-Fluss hat noch außergewöhnlich viel Wasser und sieht aus wie Schneeball-Suppe – auf der Wasseroberfläche schwimmen große Eisblöcke mit von Flusswasser vollgesogenen gelblichen Schneeschichten. Eltern müssen aufgefordert werden, mit ihren Kindern zu reden; das Eis, dass sich in der kommenden Woche bildet, ist noch zu dünn und kann keinen Menschen tragen. Das Wasser ist noch warm, und tatsächlich ist auch der Boden unter dem Schnee noch nicht gefroren.
 
Weidenröschen
 
An Nigul, St. Nikolaus, alles fest verriegeln, es kommt große Kälte. Äksi
 
Empfehlung:
Am Nikolaustag, Nigulapäev, dem 6. Dezember, wird es immer sehr kalt. Zu dieser Zeit sollte man Schafwollsocken tragen und Fäustlinge an den Händen. In alten Zeiten wurde warme Kleidung auch aus Torffaser gemacht. Bis in den Beginn des 20. Jahrhunderts hinein wurden Torffasern genutzt, um Wunden zu verbinden, in Teppichen, Decken und Winterkleidung. Während des ersten Weltkrieges waren die Uniformen der Soldaten aus Torf gemacht. Pferdedecken aus Torf waren besonders geschätzt, da sie die Pferde warm und trocken hielten.
 
Estlands Quellen: Punane allikas, Rote Quelle
Die Punane-Quelle liegt in Tartumaa, in Alatskivi. Alatskivi wird durch ein Urstromtal zerschnitten, in dem ein durch den Fluss geschaffener künstlicher See liegt. Nördlich des Sees erhebt sich Linnamägi – eine alte Festung, von Bäumen umgeben. Im Westen von Linnamägi, bei dem Wald am Talrand ist eine kahle Standstein-Wand aus dem mittleren Devon, wo die Punane-Quelle hervor strömt. Die Entfernung der Quelle zum See beträgt 25 Meter und die relative Höhe 6 Meter. Aus der Punane-Quelle fließen 0,6 l/s. Das Quellwasser ist klar, das Wasser wird als Trinkwasser genutzt und man hat Augen damit geheilt. Wer eine Silbermünze in das Wasser wirft und das Wasser trinkt, wird hellseherisch werden. In der Nähe der Quelle wächst die Truuduse (Treue-) Eiche; die unter ihr geschworenen Eide konnten durch nichts gebrochen werden.
 
Estnischer Originalartikel hier veröffentlicht am 3.12.2012
Übersetzung Liis und Leonia


 

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