Zweite Januar-Woche: Quellwasser ist warm

Verfasst von Kristel Vilbasteloodusenaine@hot.ee
Fotos: Arne Ader
 
Winterliche Hinni-Schlucht
 
Zwei hohe Wände, nahezu senkrecht aufragende Sandsteinfelsen in der Tiefe des Waldes von Võrumaa. Zwischen ihnen eine winterliche Märchenlandschaft, über einen plätschernden Quellbach biegen sich Haselzweigbögen nieder, große Schneelasten im Nacken.
 
Die vier Wetterzeichen der Woche:
Revierbesiedlung der Wölfe,
Eiszapfen an den Bäumen,
fliegende Singschwäne
und der Winter der Wirbellosen.
 
Stockenten-Erpel wärmt sich in fließendem Wasser
 
Ja, just eine solch winterliche Märchenlandschaft begrüßte uns am Samstag in Võrumaa in der Hinni-Schlucht. 20 Kältegrade waren schlicht so viel, dass ich nicht so einfach meine Nase aus der Wärme zuhause heraussteckte. Aber etwas in diesem Quelltal rief mich, die Quelle hatte aufgeschrien. Die Straßen durch’s winterliche Estland sind derzeit eigentlich ganz gut geräumt und man kann mit dem Auto zur Schlucht fahren. Am Gipfel des Berges ist ein Parkplatz und von dort ein paar hundert Meter Wegs bergab. Es it gut zu sehen, dass diese Quelle besucht wird! Die 15 Zentimeter Schnee, die in der Nacht zuvor auf den Plankenweg gefallen sind machten mich unsicher, und ich gehe liefer auf dem Boden. Zwischen den hohen Wänden der Schlucht fließt ein kleiner Bach mit fröhlichem Plätschern.  So fröhlich und laut, dass dieses Lied sogar mit meinem Aufnahmegerät eingefangen werden konnte. Ganz still erzählt auch der umliegende Wald seine Geschichte, von den Spitzen der in den blauen Himmel ragenden Fichten war Meisen-Gezwitscher zu hören, hinter einem hohen Baumstumpf gab ein Specht ein Trommel-Solo. Am Bachufer lag Fichtensamen auf dem Schnee, die Zeit des Samenfalls hat begonnen. Es gibt auch Fichtennadeln auf dem Schnee, dass sollte ein starkes Tauwetter in drei Wochen vorhersagen. Jetzt jedoch liegt soviel Schnee, dass als ich für einen Augenblick meinen Respekt vor dem Quelltal verliere, ich einen Schwall Schnee in meinen Kragen bekomme. Der Schnee ist von solcher Kälte, dass deren Strenge im Nu bis in den letzten Körperwinkel ausstrahlt. Eine Entschuldigung und eine „Silbermünze“ lassen mich die Fährtenspur eines Baummarders und auch kleinerer Tiere bemerken, die zum Anfang des Weges zurückführen. Dort ist auf einem Pfosten ein blauer Krug im Schnee zu sehen, und dann erkenne ich auch die Einfassung der Quelle, vom Schnee verschlungen. Ich schiebe ihn beiseite und nehme etwas Wasser aus der Quelle. Das Wasser ist warm! Nun verstehe ich zum ersten Mal, was das Wissen der Menschen bedeutete: „Pärtel wirft einen heißen Stein in die Quelle.“ In der Winterhälfte des Jahres ist Quellwasser warm, verglichen mit der Umgebung.
 
Stürme im Winter
Auf der Sturmkonferenz am Mittwoch in Tartu wurde viel über Winterstürme gesprochen, und die Ansicht aus der Atmosphäre auf die Tiefdruckgebiete, die den Sturm gebracht hatten, zu betrachten war faszinierend; einige von ihnen flatterten wie weiße Engelsflügel. Das Bild des Zyklons Monica, der im vorvergangenen Jahr die Straßenschneeblockade von Padaoru brachte, glänzte uns an wie eine große Schlange beginnend mit dem Kopf in Irland, sogar mit einem Auge im Kopf. Aus dem eher wissenschaftlichen Teil war es jedoch mit Sicherheit interessant zu erfahren, dass sich unsere Stürme in den vergangenen Jahren mehr zum Winter hin verschoben haben. November, Dezember und Januar sind die sturmreichsten Monate. Aber es gab etwa 120 kleine Zyklone, sie dauern um die 4 Tage – deshalb haben wir ständig „wolkig mit Aufheiterungen“ oder „schlechtes Ski-Wetter“. Mikk Sarv sagt, dass wir ein starkes Volk seien, das es bewältigte, den Ort bei diesem deprimierenden Wetter als unsere Heimat über viele Tausende Jahre zu erhalten, und auch hier geblieben ist.
 
Rohrkolben
 
Aufgehäufelte Vogelfuttertafel
Meteorologin Merike Merilain musste wieder schnell nach Tallinn, weil „ein schwieriger Arbeitstag bevorstand“. Am frühen Donnerstagmorgen war ein eisiger, schneesturmartiger nordöstlicher Sturm eingetroffen. Glücklicherweise sind die Menschen schon daran gewöhnt und haben Schneestürme als Winteralltagsgegebenheit akzeptiert. Diese Zeiten sind jedoch schwierig für Vögel, derartig geschwinde Vogelfutterplatz-Besuche hat es lange Zeit nicht gegeben. In den letzten Tagen der Woche gab es 30 Vögel gleichzeitig am Futterplatz, Grünfinken, Kohlmeisen, Feldsperlinge, einige Blaumeisen. Vier bis fünf Dutzende mehr warteten in den Bäumen darauf, zum Zuge zu kommen. Auch Rebhühner machten wieder einen Rundgang durch den Garten.
 
Wolfsspuren im Schnee
In den Wäldern Pärnumaas findet eine Revierneuaufteilung unter den Wolfsrudeln statt. Bruder Enn Vilbaste erzählt, dass ein Wolfspfad, etwa fünf Fährten enthaltend, unmittelbar an den Mäulern seiner Schottischen Hochlandrinder vorbei Richtung Ruuna-Moor führte, aber das Wolfsrudel lässt Fremde in seinem Revier nicht zu. Die Wolfe können große Tiere nicht schlagen, Wölfe und Luchse jagen jetzt Rehe. Und sie sind leichte Beute, weil in der 30 Zentimeter dicken Schneeschicht eine scharfkantige Harschschicht ist, die die Läufe des Rehwildes verletzt. Es sind derzeit auch viele Treibjagden in den Wäldern unterwegs, ich sah eine gewaltige Gesellschaft in den Wäldern von Põlvamaa. Ich hoffe, dass sie zumindest wissen, wo die Bären schlafen, weil die Bärenweibchen bereits kleine Junge bei sich haben. Verwaiste Bärenjunge werden jedoch in Estland nicht mehr länger aufgezogen. Diejenigen Menschen, die sich nicht vor Kälte fürchten, hocken bereits an den Fischgewässern und fangen Barsch und Kaulbarsch. In diesen Tagen beginnen die Quappen auf steinigerem Grund zu laichen.
 
Das Tauwetter zur Jahreswende ließ den Wasserstand der Flüsse ansteigen. Der Emajõgi ist über seine Ufer getreten
 
Zitat:

Am Tinspäev wurden in den Zeiten der Knechtschaft die Verträge abgeschlossen. Als Vorschuss wurde ein Rubel gegeben. Rõuge

 

Der Tõnisepäev (Antoniustag), der 17. Januar, war der Tag, an dem die Arbeitsverträge ausgehandelt wurden. Es würde sich vermutlich auch bei uns auszahlen, die „Familienmärkte“ oder „Schnattermärkte“ wieder zu veranstalten, wo man neue Arbeiter suchen kann. „Einmal fand er in dieser Kneipe statt, einmal in einer anderen. Es wurde schwer getrunken in der Nacht und gehandelt, mit dem Munde gearbeitet. Der Hausherr nutze seinen Mund, das Gesinde seine Münder.“ Sogar jetzt ist es bisweilen schwierig, einen guten Arbeiter zu finden.

 
Landarzt: Birkenteer

Hautprobleme sind allgegenwärtig, unzertrennliche Gefährten der Menschen von heute. Allergie wird als Krankheit von heute betrachtet. Aber wir kennen Geschichten von Kindern mit hübschen roten Wangen. Psoriasis und „Rose“ waren den Menschen in alten Zeit wohlbekannte Erkrankungen. Krankheiten wurden danach behandelt, wodurch sie vermutlich verursacht wurden. Viele Hauterkrankungen hatten ihren Ursprung in Luft und Wind, und so entnahm man der Luft auch ihre Heilmittel. Eines war Birkenrinde, die im Winde flatterte. Die Birkenrinde wurde auf einem Stein gebrannt, der sich nahe der Rindenrolle sammelnde Teer wurde auf die Haut geschmiert und in vielen Fällen hat es auch geholfen. Besonders dann, wenn der Dorfseher dabei den Glauben daran mit einer Beschwörung bestärkte. In jüngerer Zeit wurde statt Birkenrinde „Papierschweiß“ von auf einem Teller verbrannten Papier genutzt.

 

Estnischer Originalartikel hier veröffentlicht am 14.1.13

Übersetzung Liis und Leonia


 

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