Vierte August-Woche: Perlenketten

Text: Kristel Vilbaste
Fotos: Arne Ader
 
Glitzernde Spinnennetze im Moor von Laeva
 
Perle an Perle, Bogen an Bogen, Netz an Netz ... Die ganze Wiese ist übersät mit glitzernden Spinnennetzen, die in den ersten Strahlen der Sonne schillern. Nehmen Sie sie auf und machen Sie sich fein für den morgendlichen Elfenreigen.
 
Die vier Wetterzeichen dieser Woche:
Krummschnäbeliger Gartenbaumläufer,
Violett des Heidekrautes,
Zeckenplage
und kühlere Nächte.
 
Der Elfenreigen beginnt sofort, sobald die Strahlen der aufgehenden Sonne Lichtbündel durch die spätsommerlichen Nebelschleier schickt. Der lustige Sonnenpinsel zeichnet Konturen auf die Fichten, malt ein Gesicht auf die alte Eichendame, legt Rouge auf die Wangen der Traubenkirsche ... All dies war verborgen und wird nun offenbar. Und macht so auf gleiche Weise die Tausende von Spinnennetzen, die als Freundschaftsbänder zwischen Rainfarn und Weidenröschen hängen, sichtbar, und ebenso diejenigen, die die Fichte dekorieren. Die Triebspitzen der Fichten sind in diesem Jahr lang wie Würmer, und der Jahresring diesen Jahres wird ein breiter und wohlgenährter sein. Die Spinnen selbst sind nicht da an diesem perlenbesetzten Morgen, um den Mittag kitzelt sie die Sonne zur Lauer ins Netz. Der Perlenverteiler scheint das Rotkehlchen zu sein, das in Zugunruhe einige Liedstrophen in die Luft sendet, meist jedoch erinnert uns sein regelmäßiges Ticksen an die herbstliche Botschaft der Vergänglichkeit.
 
Rauchschwalben füttern ihre zweite Brut
 
Die Birken waren schon beim herbstlichen Friseur und ihre Köpfe haben lange gelbe Haarsträhnen, der Blattverlust ist bislang nicht sehr groß. Die Linden und Ulmen jedoch haben schon deutlich weniger Blätter. Die Kinder der Eiche – die Eichelbürschlein haben es geschafft, ihre Augen unter der Mütze herausblinzeln zu lassen, und die ersten vergnügten Kullern haben sich auf dem Boden verteilt, träumend, in die Fußstapfen ihrer Eltern zu treten oder beim Basteln von Tierfiguren verwendet zu werden. Die Weiden sind jedoch bereit richtig  herbstlich rotbraun, in den Mooren ist Farbe wie violetter Nebel hinzugekommen, die Heide ist in Vollblüte.
 
Die Moorkennerin Laima Ollin erzählt, dass die Schlangen nach und nach aus dem Wald kämen, es gibt besonders viele 30 cm Möchte-gern-Schlangen-Teenager, die sich alle auf den großen Baumwurzelhaufen am Rande des Moores sammeln, damit sie alle zusammen am 8. September, dem Schlangen-verkriech-Tag, in die Erde verschwinden können. Die Kröten bleiben bereits in der Nähe gepflügter Felder und Gartenbeete und scheinen recht müde zu sein.
 
Aus den Larven sind blaue Erlenblattkäfer (Agelastica alni) geworden
 
Am Sommerende ist die Zugunruhe derart gewachsen, dass alles Schilf und Gesträuch von Gezwitscher und Geplapper voll ist. Die Grasmücken eilen mit hohem Tempo, das im Sommer von Blattläusen wimmelnde Schilf ist leergepickt, statt im Vorrat verschwanden sie direkt im Magen. Die Storchenschwärme picken die von den Mähdreschern abgeernteten Felder leer bis aufs Letzte. Die Ufer sind voller Regenpfeifer-Rufe, die Enten sammeln sich nach und nach an den Schilfrändern um zu gründeln. Sie haben sichtlich jetzt keinen Nahrungsmangel. Die Luft ist voller Greifvögel, sie fliegen im Wind und gleiten über den Himmel.
 
Die Zugunruhe überkam auch mich, aber das Ende des Sommers zieht mich immer nordwärts – ins Land der Samen [Lappland]. Der Norden wird allmählich gelb, rötliche Töne sind noch rar. Und das Arktische Meer selbst hat eindeutig wenig winterlich kühle Luft, in Alta blühen noch Weidenröschen, sogar die Gänse sitzen noch am Meeresufer und knabbern am üppigen Polargras. Das Gras selbst ist voller Mauslöcher, Loch an Loch. Und wenn es Sie auf solch eine durchlöcherte Wiese auf der Spitze irgendeiner Halbinsel verschlägt, kann es geschehen, dass Sie sich durch die greulichen Mausschreie zu Tode erschrecken. Die winzigen Lemminge zeigen Ihnen ihre beiden Vorderzähne, mit Höchstlautstärke schreiend, für einen Augenblick können sie sogar einen Menschen verschrecken. Es gibt viele Lemminge in diesem Jahr, eine wahre Sintflut. Hier und dort liegen Dutzende Lemming-Kadaver am Rande eines kurzen Wegstückes. An einigen Orten sind sie in großen Mengen in die Keller oder in die Radnaben von Lkws gekrochen. Die Samen erzählen, dass sie von Zeit zu Zeit in großen Mengen wandern, aus der Ferne sieht es auch wie ein großes haariges Fell. Jetzt huschen einem so viele um die Füße, dass es schwierig ist an die Orte mit den Felszeichnungen zu gelangen.
 
Der Hopfen trägt in diesem Jahr eine gute „Zapfen“-Ernte
 
Blumengeschichte:
Der samisch krächzende Rabe von der Halbinsel Kola in Turjamaa erzählt eine Geschichte über die Insel Ljuaver, wo einst tanzende Birken gewachsen sind. Eines Nachts kamen wunderschöne Samen-Mädchen auf die Insel um zu tanzen. Sie tanzten und tanzten und die herbstliche Dämmerung senkte sich vom Herbsthimmel auf die Tundra, es ist die Zeit, in der das Gesetz der Stille über der Tundra herrscht. Die jungen Mädchen wollten nicht zu tanzen aufhören, aber der Geist des Sees war über diesen Ungehorsam sehr verärgert und verwandelte die Mädchen in Tundra-Birken, die sich drehen und winden wie in einem Tanz. Von dieser Zeit an erscheinen die Birkenstämme wie tanzende Mädchen, die Birkenstämme glänzen jeden Abend silbrig wie Mädchen im Silberschmuck..
 
Zitat:
„Die Erde lebt ihr eigenes Leben. Manchmal stören wir sie und manchmal versteht sie uns nicht, warum wir sie stören,“ besagt eine alte samische Schamanenweisheit.
 
 
    
Übersetzung: Liis und Leonia


 

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