Gartenwerklers Tagebuch: Januar

Geschrieben und illustriert von: Tiit Kändler
Übersetzung ins Englische: Liis
Vom Englischen ins Deutsche: Leonia
 
2. Januar
Interessant: das Jahr ist vorüber, aber noch nicht wirklich vorüber. Es gibt immer noch irgendwo anders ein Neujahr. So ist das Jahr wie der Mangel an Geld, der auf der Welt nie ein Ende hat. Je mehr Geld der Mensch hat, desto mehr benötigt er. Je mehr Zeit ein Mensch hat, desto größer ist der Mangel an Zeit. Je mehr Jahre jemand zählt, desto weniger Tage bleiben ihm.
Wenn das Jahr kein Ende hat, und der Garten natürlich auch nicht, wird es dann zum Beispiel einmal eine Zeit geben, wenn die Musik zu Ende ist? So dass wir eine Jahreswende erleben werden, und es nicht ein einziges Musikstück geben wird, das bei dieser Gelegenheit gespielt wird. Einfach keine Musik mehr übrig. Ja und die Witze werde auch ausgehen. Man wird sie nirgends mehr bekommen und im Neuen Jahr schicken Gartenwerkler böse Briefe ans Fernsehen, warum es so wenig Spaß in deren Unterhaltungs-Shows gibt.
Und die Briefe werden nicht beantwortet, weil e-Mails ebenfalls ausgegangen sind.
 
18. Januar
Das Jahr ist neu, aber es ist der alte Garten. Der Werkler ist auch nicht gerade neu, aber auch noch nicht der Älteste. Nachdenkenswert – wie weit reicht der Garten, überlegt er. Das ist eine wichtige Sache, geradezu lebenswichtig. Eine der weitest verbreitetsten Parolen Europas ist "Not in my backyard!”, übersetzt ins Deutsche – „Nicht in meinem Garten!‟. 
Dieser Satz richtet sich gegen Planungen zu Schweinemast und Windrad, Kiesgrube und Schnellstraße, Tankstelle und Torfabbau und nicht einmal die Gebäude der Kunstakademie entgehen den Angriffen der Gartenwerklerinnen.
Ja, aber wie weit dehnt sich der Garten dann? Wo endet mein Garten, übergehend in – sowas wie?: unberührte (unbeseelte) Natur, Abraumhalden oder gar bis zur Eckkneipe?
Zum Glück braucht man sich darüber nicht länger das Hirn zu zermartern, wie der Werkler entdeckt, als er gerade eine Rückschau über die grundlegenden wissenschaftlichen Hinterhof-Studien der Forscher von der Wiener Universität für Tiermedizin liest.
Zunächst – welches ist der gemeinsame Nenner einer Fabrik und eines Kuhstalls? Natürlich der Umstand, dass ein zivilisierter Europäer (beginnend mit dem Griechenland vor der Schuldenkrise) sie beide de jure für notwendig hält, aber de facto für unvorstellbar in seinem eigenen Areal.
Dieser Post-griechisch-Antike will seinen Blick in die Natur nicht gestört sehen, oder mit atmospärischen Duftstoffen angereichert, seien es künstliche oder natürliche Gerüche. Der Wiener Veterinärmediziner Günther Schauberger holte Kollegen aus Deutschland in sein Team und entwickelte schließlich ein mathematisches Modell, mit dem man die Grenzen des eigenen Areals berechnen kann. Die Forscher versichern, dass ihr Modell für jeden Geruch anwendbar ist, sei es der von Schweinen oder Kühen oder Hühnern oder Gänsen. Und nicht nur das, das Modell kann auf Fabrikschornsteine ebenfalls angewendet werden.
Schauberger weist darauf hin, dass es das Modell erlaubt, die Interessengrenzen schnell zu berechnen – mit der "quick and dirty”-Methode. Diese schnelle Berechnung führt zwar zu einer Überschätzung des Areals, wie der Wissenschaftler feststellt, aber wenn Tiere in ihrem Auslauf ein wenig beengt gehalten werden, dann kann man genauere Berechnungen vornehmen und sogar die Windrichtung kann mit einbezogen werden. Mit dem Artikel – veröffentlicht in der Zeitschrift Atmospheric Environment – in der Hand geht der Werkler hinaus in den Garten und hält seine Nase in den Wind.
Es riecht nach Atmosphäre. Irgendwas muss ausgegraben und beklagt werden.* Der Werkler gräbt ein Loch in eine Gartenecke. Der Boden ist nicht gefroren und das Loch wird wunderbar. Es wird warm und gemütlich sein, wenn der Schnee kommt.
 
* kaevata = ist anzuklagen bzw. auszugraben, zu kaebama (klagen) oder kaevama (graben)


 

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