Die Geschichte der Woche

Wochengeschichte (Kristel Vilbaste).

Erste Februar-Woche: ein Hauch von Frühling

Text: Kristel Vilbaste
Fotos: Arne Ader
 
Schneewälle neben einer Dorfstraße. Päidla, Otepää Hochland
 
Der Wind führt ein wenig Frühling mit sich, dem Geruch nach zu urteilen, der mich von Straßenrand anweht. Es ist ein verlockender Duft vom Wasser geschmolzenen Schnees, dem vorjährigen Gras, nassem Asphalt und Kies. Es stehen Pfützen auf dem Boden!
 
Es ist nicht nur der Duft, der Frühling spielt . . . die Geräusche sind ebenfalls frühlingshaft. Tropf! Tropf! klingt die Dachrinne, und ein tiefes, schwarzes Loch wurde zum Klang dieser Aavo Pärt-artigen Musik in die Schneewehe getrieben. Am unteren Rand dieser Grube zeigt Mutter Erde hellgrüne zarte Grashalme aufgerichtet wie ein unrasierter Bart. Diese Woche trank ich zum ersten Mal meinen Kaffee auf der Veranda, und die Sonne, die sich blinzelnd zwischen den Wolken zeigte, brachte tatsächlich Wärme. Die Schneehaufen schrumpfen Tag um Tag, die Spitzen der Stauden und der junge Pfeifenstrauch sind bereits über dem weißen Schaum zu sehen. Aber die Schneehaube auf der Brunnenabdeckung ist noch immer gute 80 cm hoch, und wenn man zur Nachbarin Vilma entlang der Küstenstraße geht, um ihr zum Geburtstag zu gratulieren, hatte man damit zu kämpfen, die Füße aus dem knietiefen Schnee zu ziehen.
 
Fuchs auf Jagd nach Beute
 
Mücken! Mücken!
Auf dieser dicken Schneedecke findet bereits reges Leben statt. Irgendwelche Insekten wuseln herum. Ich fragte den Insektenkundler Urmas Tartes, ob das Insektenjahr bereits begonnen habe. „Insektenfotografen haben jetzt viel Spaß", lautete die Antwort, die ich erhielt. Und die Identifizierung der Insekten ist einfach: „Wenn sie langbeinig waren und ein wenig herumflogen und Du musstest Dich nicht hinlegen, um sie zu sehen, dann waren  es Wintermücken – Verwandte der Pilzmücken. Kleinere Lebewesen auf dem Schnee sind Trauermücken und solche, deren Namen nicht erwähnt werden oder die keine estnische Bezeichnung erhalten haben. Ganz sicher sind Winterhafte draußen, die wie kleine Flöhe hüpfen und die in England Winterflöhe genannt werden.”  Als besonders aufregend erwähnte Urmas Tartes den Fund eines junges Exemplar einer Listspinne auf dem Schnee  – ein etwa einen Zentimeter langes achtbeiniges Etwas.
 
Das erste Steigen des Ahornsaftes
Das Schmelzwasser und der nicht gefrorene Boden haben den Ahornaft zum Steigen gebracht. Forstkenner Vello Keppart schreibt: „Am 10. Januar begann das Steigen des Bergahornsaftes in Jõgeva. Am 1. Februar ebenfalls beim Feldahorn, als die Lufttemperatur gerade 1-2 Grad Wärme erreichte.” Es war nicht viel Saft, der auf den Boden einer Tasse tropfte, aber genug, um den Geschmack im Mund zu spüren. Bei Tauwetter kann Ahornsaft bereits im Dezember steigen. Das der Lebenssaft der Bäume erwärmt wird, kann jeder sehen: die Kronen haben bereits deutlich andere Färbung. Die Fliederknospen sind erfreulich dick und rund. Aber das ist alles – immerhin sind wir noch mitten im Winter. Es kann außerdem angeraten sein, sich daran zu erinnern, dass es vor drei Jahren Anfang Februar gar keinen Schnee gab.
 
Überwinternde Gänsesäger
 
Gesandte des Nordens
Obwohl es draußen für Februar, den Kerzen-Monat, ungewöhnlich warm war, sind enorm viele Höckerschwäne an der Ufern der Tallinner Bucht aufgetaucht. Es gibt bereits eine Debatte, wer für das aggressive Verhalten der Schwäne verantwortlich ist, da sie zwischen den Autos auf der Straße nach Pirita herumwatscheln und Brot von den Passanten erbetteln. Ökologe Enn Vilbaste sagt, der Grund sei der gleiche wie eh und je: das Eis drängt schwedische und finnische Schwäne aus dem Bottnischen Meerbusen in unsere Gewässer. Die ganze Schar driftet zur estnischen Küste und die meisten denken nicht daran, die angenehme Brotfütterung zu verlassen. Ich meine, dass falls der Wunsch besteht, diese Bevölkerung zu erhalten, die Fütterung fortgeführt werden muss, oder sonst die Polizei sicherstellen muss, dass nicht ein einziger Schwan einen einzigen Happen abbekommt, dann würden sie ganz einfach gezwungen sein wegzufliegen.
 
Eisblumen am Fenster
 
Die Vögel beginnen zu balzen
Die Frühjahrsunruhe der Vögel kann man derzeit vor allem bei den Vögeln der Krähenfamilie sehen. Dohlen schließen sich bereits paarweise zusammen, Elstern sieht man nur zu zweit – und böse Kämpfe mit den Krähen ausfechten. Die Raben üben jeden Morgen krächzend den Paar-Flug über den Kiefernschlägen. Die Nachricht, dass das Schmelzwasser die Kehle der Amsel in Tallinn freigespült hat, ist eine echte Frühlingsgeschichte, aber nicht wirklich außergewöhnlich. Aus Richtung Süden sind bereits kleine Scharen von Seidenschwänzen eingetroffen und in schneearmen Wintern treffen Mitte Februar die Saatkrähen ein. 
Blumengeschichten: über die Erschaffung der Leberblümchen. In den alten Zeiten hing der Himmel sehr niedrig und des Schneiders Kinder liefen herum und stachen den Himmel mit einer Schere. Der Schneider bestrafte sie mit einem langen Stock. Während er die Kinder versohlte, riss er versehentlich ein Stück Himmel mit herunter, dass in winzige Stückchen zerbrach. Der alte Vater Himmel wurde wütend und hob den Himmel höher hinauf. Aber aus dem Bruchstücken des Himmels wuchsen wunderbare blaue Blumen – Leberblümchen ("sinililled" — Blaublümlein).


 

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