
Ich möchte ein wenig aus der Übersetzer-Praxis erzählen und eines von den Problemen schildern, die gerade die hintersinnigen Texte Tiit Kändlers beim Übertragen mit sich bringen. Tiit Kändler ist ein sehr belesener, kluger Autor, der über Tellerränder schaut, gern philosophiert und die Dinge und Worte genauer in Augenschein nimmt. Ein Steckenpferd von ihm sind daher auch Wortspiele, die die Übersetzer zur Verzweiflung treiben können, weil sie nur selten in eine andere Sprache übertragbar sind (gleichzeitig aber auch viel Spaß machen).
Ein gutes Beispiel findet sich in dem Beitrag
http://www.looduskalender.ee/de/node/12255
Liis hatte bereits die Mail mit ihrer englischen Fassung betitelt:
Potterer's latest - ouch! (Werklers letztes, aua!)
Hauptsächlich bezog sich das auf das Wortspiel im letzten Absatz, dass im Beitrag in einer Fußnote erklärt wird, die Liis' Erläuterung enthält. In der Übersetzung habe ich beide Begriffe verwendet, obwohl es im estnischen ein und dasselbe Gerundivum ist, das zu zwei unterschiedlichen Verben gebildet wird. Da aber im Deutschen das Verb ausgraben auch im übertragenen Sinne gebraucht wird und daher vor allem im geschilderten Zusammenhang zum anklagen passt, fand ich diese Eigenmächtigkeit gerechtfertigt: es dient dazu, Tiit Kändlers Gedanken ins Deutsche zu übertragen.
Dazu brachte Liis noch folgendes Beispiel eines estnischen Sprichwortes:
"Kui suurt labidat on vaja, et kedagi kohtusse kaevata?" - Estonian question on the same line, How big a spade do you need to submit a complaint about someone to the court. Or dig someone into court.
= Estnische Frage in gleicher Sache, Welch großen Spaten benötigt man, eine Klage über jemanden vor Gericht zu bringen. Oder: jemanden im Hof zu begraben?
Um dann ihre Mail mit dem Satz zu beenden:
Can I please dig a hole for my complaints somewhere?
Kann ich bitte irgendwo ein Loch für meine Beschwerden graben?
Liebe Liis,

vielen Dank für Deine immerwährenden Mühen, ohne Dich wären diese Übersetzungen nicht möglich und Dein eigener Witz und trockener Humor ist einfach zu schön zu lesen, so dass ich mir erlaubt habe, auch die des Englischen nicht mächtigen Leser daran teilhaben zu lassen. Du wirst mir diese Indiskretion hoffentlich verzeihen.
