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Prinz Ruprechts Tropfen

Text: Jaak Kikas, Universität Tartu, Institut für Physik, Tartu
Fotos: Jaak Kikas und Wikimedia
Übersetzung ins Englische: Liis
Übersetzung ins Deutsche: Leonia
 
Foto 1. Ruprecht Pfalzgraf bei Rhein, Herzog von Bayern (Gemälde von unbekanntem Künstler).

Prinz Ruprecht von Bayern (Ruprecht Pfalzgraf bei Rhein, Herzog von Bayern, Foto 1), er lebte in den Jahren 1619-1682, war ein Mann mit vielen Talenten. Manchmal unterhielt er seine Freunde mit einem Trick, der immer noch mit seinem Namen verbunden wird. Wenn man den Tropfen geschmolzenen Glases, der an der Spitze eines Glasstabs beim Erhitzen entsteht, ins Wasser fallen lässt, wird er in der Regel wegen der inneren Spannungen, die durch die schnelle und ungleichmäßige Kühlung entsteht, zerplatzen. Aber einige Tropfen bleiben erhalten - sie haben eine stromlinienförmige Spitze und enden in einem langen, dünnen Schwanz (Bilder 2, 3).

 
Foto 2. Prinz Ruprechts Tropfen - ein ins Wasser gefallener Tropfen geschmolzenes Glas.
 
Foto 3. Ein Prinz Ruprechts Tropfen, sichtbar durch sich kreuzendes Polarisieren - die optische Anisotropie, die durch mechanische inneren Spannungen entsteht, macht sie sichtbar; die Methode ist bekannt als Photoelastizität.

Solche "Prinz Ruprechts Tropfen" sind viel härter als normales Glas und können sogar einen Hammerschlag verkraften. Aber wenn der dünne Schwanz vom Tropfen abbricht, zerbirst er explosionsartig in kleine Glasscherben.
Das gleiche Phänomen ist die Grundlage für eine Technologie, die heute für viele und einträgliche Zwecke verwendet wird und als Häten (Tempern) von Glas bekannt ist. Glas als Werkstoff besitzt eine Reihe von nützlichen Eigenschaften und ist theoretisch sehr hart. In der Praxis ist die Sache weniger einfach. Die Härte der frisch gezogenen Glasfasern mag der von Stahldraht ähneln, aber bei größeren Objekten aus Glas (zB Glasplatten) ist sie wesentlich geringer. Glas ist besonders anfällig bei Zugbeanspruchung (Strecken). Ursache sind die allgegenwärtigen Mängel in der Glasoberfläche, etwa Mikrorisse. Beim Strecken konzentriert sich besonders hohe Belastung am Ende eines Risses, und der Riss kann beginnen, sich auszudehnen. Aufgrund der besonderen Struktur von Glas (Im Unterschied von zum Beispiel polykristallinen Metallen) gibt es nichts, dass die Ausbreitung eines solchen Risses stoppen könnte, und der Prozess endet mit dem Bruch des gläsernen Objekts. Es ist naheliegend, dass je größer der Glasgegenstand ist, desto größer die Wahrscheinlichkeit ist, dass irgendwo auf der Oberfläche ein Fehler ist, der sich als fatal erweist. Dies erklärt auch die Stärke von Glasfasern mit einer flammenförmigen Oberfläche.

Wie wird das Tempern von Glas ausgeführt, und warum macht es Glas härter? Um eine Glasplatte zu tempern, wird sie auf eine Temperatur oberhalb 600 ° C erhitzt, bei der das Glas weich wird, und wird dann schnell durch das Einblasen kalter Luft über beide Oberflächen der Glasplatte abgekühlt. Zuerst kühlen und erstarren die Oberflächen der Platte, während die heißeren Schichten im Inneren der Platte nach wie vor vergleichsweise weich sind. Dann wird das Innere des Glases ebenfalls sich abzukühlen beginnen und damit schrumpfen und versuchen, die Schichten der Außenfläche zusammenzuziehen. Da sie jedoch bereits hart und starr sind, erzeugt das starke Druckspannungskräfte in den Oberflächenschichten. Dies ist es, was das Glas härter macht. Um eine Zugspannung für das Glas zu gefährlich werden zu lassen, muss sie zunächst die Druckkräfte in den Oberflächenschichten überwinden. Das Glas bricht nur, wenn die Gesamtspannung (die Summe der Belastungen durch die externe Kraft und die der Überwindung der internen Spannung, aber mit entgegengesetzten Vorzeichen) über einen kritischen Wert steigt. Das Tempern des Glas erhöht seine Härte etwa um den Faktor 5. Gehärtetes Glas widersteht Hammerschlägen und es kann selbst erhebliches Durchbiegen überstehen (Foto 4)

 

Foto 4. Durchbiegen einer Platte aus gehärtetem Glas.

Wenn gehärtetes Glas jedoch zerbricht, dann zerbröselt die gesamte Platte augenblicklich in kleine Fragmente, etwa von gleicher Größe wie die Platte dick war (Foto 5). Den Bruch kann zum Beispiel ein Schlag mit einem spitzen Gegenstand verursachen - auch in einer Ecke oder am Rand der Platte. Diese kleinen Fragmente sind jedoch nicht gefährlich – daher wird gehärtetes Glas auch "Sicherheitsglas" genannt (Foto 6).

 
Foto 5. Fragmente von zerbrochenem, getemperten Glas.
 
Foto 6. "Sicherheitsglas". Getempertes Glas widersteht Schlägen, und auch wenn es zerbricht, sind die sich dabei bildenden kleinen Splitter nicht gefährlich.

Nach der obigen Beschreibung wird auch klar, dass gehärtetes Glas nicht bearbeitet werden kann wie gewöhnliches Glas - geschnitten, gebohrt usw. Diese Bearbeitung würde das Glas zersplittern lassen, und daher muss sie vor dem Härten des Glas ausgeführt werden.
In Estland gibt es mehrere Unternehmen, die mit gehärtetem Glas arbeiten, zum Beispiel BALTIKLAAS in Tartu, Klaasimeister in Harjumaa und Andrese Klaas in Tallinn. Industriell werden die im Zusammenhang mit dem Tempern stehenden Arbeitsgänge (Heizung, Kühlung) in einer durchgehenden Bearbeitungsstraße durchgeführt.

Hinzuzufügen ist, dass der Effekt, ähnlich wie der oben für das durch Erhitzen verursachte Tempern beschriebene, auch durch so genanntes chemisches Tempern möglich ist. Dieses beruht auf Ionenaustausch: indem ein Glasobjekt in geschmolzenes Kaliumsalz gehalten wird, werden die Natrium-Ionen in den äußeren Schichten des Glases zu Kalium-Ionen. Da die Na + und K +-Ionen unterschiedliche Größen haben (K +-Ionen sind größer), führt dies zu einer inneren Spannung im Glas. Mit dieser Methode wird nur eine vergleichsweise dünne (etwa zehn Mikrometer starke) Oberfläche gehärtet. Im Gegensatz zum thermischen Tempern können so auch komplizierte Formen (unregelmäßige Oberflächen) und sehr dünne Glasgegenstände gehärtet werden. Und da dabei grundsätzlich nur eine sehr dünne Schicht des Glases gehärtet wird, kann derartiges Glas auch geschnitten und gebohrt werden. Die Methode selbst ist jedoch zeit-und kostenintensiver, und eignet sich daher nur für kleinere Objekte.
Für weitere Informationen siehe "Materialwelt" (“Materjalimaailm”), Artikel "Getempertes Glas" (ESG).