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Anfang Mai: Mücken sind gottgewollt

Text: Kristel Vilbaste
Fotos: Arne Ader
 
Ein Zugvogelschwarm Rauchschwalben rastet auf den Zweigen einer Weide
 
Der Himmel sinkt bleischwer zu Boden. Nach der fröhlichen Frühlingszeit voller Sonnenschein kann das nicht erlaubt und nicht richtig sein ... Wohin sind die Sonne und die Blitze und der Regenbogen verschwunden?
 
Die vier Wetterzeichen dieser Woche:
Erste Flüge von Rauchschwalben,
Tauchflüge der Gelbrandkäfer,
goldene Kronen der Sumpfdotterblumen
und ein Kältewelle.
 
Von der warmen Frühlingssonne juckten den Gärtnern die Finger. So sehr kribbelte es voller Frühjahrs-Vorfreude, dass man es nicht anders kurieren konnte, als die Finger tief in die Erde zu graben. Man kennt das Gefühl frühlingswarmer, fruchtbarer, krümeliger Erde, wenn sie durch die Finger rinnt! Um so mehr, als in Süd-Estland bereits Traktoren die Felder umpflügen und Saatgut auf ihnen ausbringen, tags und nachts von einer rote Staubwolke umgeben. Der Boden war selbst in der Walpurgisnacht noch immer so trocken, dass Staubwolken hoch aufstoben, als die Hexen mit ihren Rocksäumen über die Felder wirbelten. Aber auch ich säte diese Woche in diese außen staubige, innen aber feuchte und fett-fruchtbare Erde Erbsen- und Karottensamen und steckte Zwiebelnachwuchs ... aber ich habe auch einen Schreck bekommen, als plötzlich nach einem weiteren Spatenstich ein Paar Froschbeine auf dem Gartenbeet in Kütioru herumlagen ... Uuuh! Hatte ich einen Frosch in zwei Teile zerlegt? Aber die Überraschung war noch viel größer, als ich sah, dass an diesen langen Beinen noch immer eine kleine runde Kröte hing, und das völlig heil und gesund und wie es schien, gerade bereit zum Laichen. Zudem eine Knoblauchkröte mit hervorquellenden Augen und vertikalen Pupillen wie bei einer Natter. Ich trug Frau Kröte hin zu den Johannisbeerbüschen am Teich und gab ihr einen großen Stein als Schutz. Aber am Abend hörte ich ihre Prinzen an einem ganz anderen Teich quaken.
 
Das Stockentenweibchen brütet auf ihrem in einem Brennnessel-Gestrüpp gebauten Nest
 
Goldglanz der Himmelschlüssel
Der Gesang der Moorfrösche und Kröten lässt bereits nach. Die Sumpfdotterblume oder "Froschkohl" blüht und bald sollten die kleinen Wasserfrösche mit prall geblähten Wangen ihren lauten und schrillen Gesang anstimmen. Das Pflanzenreich begann diese Woche mit Macht, die Wärme ließ die Kätzchen der Espen, Erlen und Weiden sich öffnen. Am Wochenende hatten die güldenen Himmelschlüssel ihre Blüten geöffnet, ebenso die Veilchen, und der Seidelbast stand in einem rosa Schaum von Blüten. Außer Gierschsuppe kann man nun Schlüsselblumensalat und Brennnesselsuppe machen. Der Sauerklee blüht noch nicht, aber die roten Stiele des Rhabarbers mit ihren grünen Blattbüscheln sind bereits groß genug, und es gibt Schnittlauch auf's Brot. In allen Gärten blühen Tulpen und Narzissen, die Forsythien haben in diesem Jahr ein wenig Frost abbekommen, aber Zweige, die unter dem Schnee warm gehalten worden waren, tragen ein Meer an gelben Blüten und erinnern an die Mantelrobe der britischen Königin.
 
Ist es ein Pirol?
Diese Woche sind auch die Boten warmer Tage eingetroffen. Rauchschwalben gab es vielerorts. Der Pfeifer Wendehals ist ebenfalls zurück, die Nester der Trauerschnäpper sind sehr gefährdet, der sie vertreibende Wendehals kennt keine Gnade. Die Starenweibchen brüten feste und nur wer direkt unter ihren Nistkasten gerät, scheucht sie heraus. In diesem Jahr haben wir in Kütiorg ein Starenmännchen, das perfekt einen Pirol nachahmt. Ich frage mich immer wieder: „ist der Pirol wirklich schon zurück?‟ und sehe dann etwas mit gesprenkeltem Gefieder lachend davonfliegen. Die Bachstelze besucht heimlich die Rauchsauna, und es ist wahrscheinlich höchste Zeit, ihr zu zeigen, dass das Nisten in diesem Bau nicht recht gesund ist. Es ist lustig, den Brachvogel-Paaren im Feld zuzusehen, sie können ihre gänsegroßen Körper und langen Schnäbel nirgends verbergen. Die Gänse selbst sind glücklich beim Vernaschen der von den Bauern in den Boden ausgebrachten Samen. Es gibt so viele Gänse, dass selbst in der Innenstadt von Tartu es keine zehn Minuten braucht, bis einem ein Schwarm über den Kopf hinwegsaust.
 
Viper
 
Der Tanz der Mücken steigert sich
Zum Glück habe ich in diesem Jahr noch keine Zecken gesehen, aber auch sie sollten eigentlich bereits draußen sein. Aber die ersten Mücken sind bereits überall am tanzen. Und auch die vorübergehende Kältewelle brachte keine Erleichterung, prophezeite Insektenkenner Jaan Luig, auch dieses wird wieder ein rechtes Mückenjahr, es gibt genug Wasser für die Vermehrung der Blutsauger. „Mücken sind gottgewollt“, ergänzt Jaan Luig lachend. „Man muss einfach nur ihre Saison überleben“. Alles was zu wachsen beginnt, wird außerdem von den Schnecken tapfer angegangen, die Zirkelschnecken scheinen in diesem Jahr sehr zahlreich zu sein. Auf den örtlichen Straßen ist der Asphalt voller Tauchkäfer, die sich heldenhaft tot stellen, mit den zappelnden langen Beinen Richtung Himmel.
 
Heilige Haine dürfen nicht abgeholzt werden!
Das nach und nach aus den Wäldern verschwindende Wasser — die Pegel von Gräben und Bächen sind bereits gesunken — macht schon wieder die Plünderung der Wälder möglich. Leo Lätti, Bewohner des Dorfes Maardu, sagt, dass die Zerstörer der Haine bald zurückkommen werden, und dass von der Schlucht bei Mardu dann eine lange Schneise bis zur Straße nach St. Petersburg oder sogar mit zum Komplex des Chemiewerks verlaufen wird. Und sicherlich wird man die notwendigen Paragraphen drehen und wenden, bis sie die rechte Form aufweisen; es ist eine andere Sache, ob dann der Alte der Schlucht erneut den See von Maardu zum Hafen von Maardu schicken wird und ein breites Tal in den Boden graben wird wie hundert Jahre zuvor. Der Waldschützer Ahto Kaasik ergänzt: „Das Abholzen droht dem seltenen Schwarzerlen-Hain von Maardu nach wie vor, soviel war nach der Ortsbesichtigung durch die Expertenkommission am Freitag klar. Die Umweltbehörde und das Amt für Nationalerbe haben ihre Nasen tief in die Akten vergraben und schützen die Interessen der Forstwirtschaft anstelle der Bäume in den Hainen.“ Nach einem Besuch an einem Ende des Haines im vergangenen Sommer kann ich ergänzen, dass ein derart großer Schwarzerlenbestand wie in Maardu nur noch auf Hiiumaa bei Luidja übrig ist.
 
Schlüsselblume oder Himmelschlüssel
 
Blumengeschichte: die Blüte des Himmelschlüssels – Schlüsselblumen
Petrus, dem Hüter des Himmelstores, wurde einst gesagt, dass jemand ein Doppel des Schlüssels gemacht habe, um mit ihm die Hintertüren des Himmels öffnen und in den Himmel eindringen zu können. Das erschreckte ihn so sehr, dass er den Schlüsselbund fallen ließ, der von Stern zu Stern fiel, bis er schließlich auf der Erde landete. Der heilige Petrus sandte sofort einen Engel auf die Erde, um die Schlüssel von dort zurück zu holen. Aber die Schlüssel hatten bereits Eindrücke im Boden hinterlassen und goldfarbene Blüten dort wachsen lassen. Als der Engel die Schlüssel zum Himmel zurückbrachte, blieben die goldenen Blüten hier, um hier zu wachsen und in jedem Frühjahr wachsen sie und wieder öffnet sich der Himmel der Frühlingsblüten.
 
Zitat:
Auf Saaremaa wird der Hanf ausgesät, wenn die Schlüsselblumen blühen.
 
 
Übersetzung: Liis und Leonia