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Naturjahr 2011. Reich und arm
Text: Kristel Vilbaste, Loodusenaine@hot.ee
Fotos: Arne Ader
Bei 2011 erinnere ich mich an Feuer, Wasser und Wind. Es war von allem sogar für mich zu viel. Aber die lebendige Natur mit ihren Klängen und Farben ließ mein Herz singen.
Die vier Winterzeichen der letzten Woche:
Grünes Gras,
Gimpel-Gesang,
Vor dem Silvester-Krach fliehende Füchse und
die darauf folgende Stille!
Was war das Besondere am Naturjahr 2011:
Mikk Sarv: 2011 bestätigte erneut die Volksweisheit, dass auf einen kalten Winter ein besonders heißer Sommer folgen werde. Aber der Sommer dieses Jahres bot Raum für alles – Wärme ebenso wie Kälte, Dürre und Regen. Insgesamt könnte man sagen, dass es ein Wende-Sommer und -Jahr war – der Winter des Jahres 2012 begann nicht mehr mit einer Unmenge an Schnee und Frost. Wir werden sehen, was uns die Wende bringen wird!
Gennadi Skromnov: Zwei Folgejahre mit zugefrorenem Meer. Nach dem Bersten des Eises hatte sich die Meeresflora gut erholt . . . Robben konnten auf dem Eis gebären, es war vor allem für Ringelrobben ein gutes Jahr.
Agu Leivits: Zwei kalte Winter haben die Zahl kleiner Waldvögel stark dezimiert und für den Herbstzug waren es zu wenige – die Anzahl an Wintergoldhähnchen, Waldbaumläufern, Schwanzmeisen und Blaumeisen am Herbstzug war sehr gering und bei der Kabli-Vogelzugstation konnten nicht einmal Schwanzmeisen gefangen werden.
Kaja Kübar: Wenn es früher in schneereichen Wintern noch etwa 41 Rehe auf 10 km gab, dann sind es nun gerade noch zusammen vier von ihnen, in zwei „Herden‟ – je zwei. Die Zahl der Wölfe hat zugenommen, es gibt mehr Rudel und auch mehr Einzelgänger. Weil es wenig Rehwild gab, verschwanden ständig Schafe, mehr als je zuvor.
Enn Vilbaste: Es gibt weniger Birkhühner als früher. Die Wildschweine halten Pflugwettbewerbe in jeder naturnahen Flussaue ab, alle Orchideen sind von dort verschwunden.
Urmas Tartes: Das vergangene Jahr war entschieden ein besonderes Schmetterlingsjahr. Die Schillerfalter, große und kleine, flogen Seite an Seite und in großer Zahl. Noch vor kurzer Zeit waren sie sehr selten. Es war auch ein gutes Jahr für den schwarzen Apollofalter, aber die flogen nur örtlich begrenzt.
Vello Keppart: Der zweite echte nordische Winter und der zweite warm-trockene Sommer bleiben in Erinnerung. Es war der Sommer der Schwalbenschwanz-Schmetterlinge, viele sahen die Raupen auf dem Dill ihrer Hausgärten, eine Raupe entdeckte ich sogar auf einem Balkon im dritten Stockwerk in der Stadt Jõgeva. Der Seidelbast, der Anfang Oktober zu einer zweiten Blüte ansetzte, setzte diese Blüte mit einer oder zwei Blüten sogar über Weihnachten und Neujahr hinweg fort.
Olev Merivee: Im Dezember verließen viele Zugvögel die Gegend von Tõrva – Wacholderdrosseln, einige Amseln, Bussard, Höckerschwäne. Schellenten, Gänsesäger und Reiherenten vom Võrtsjärv-See. Aber meine Vogel-Erfahrung fand in meinem eigenen Garten statt, als ein Mittelspecht mehrere Wochen lang heimlich zum Futtern kam!
Arne Ader: Am Võrtsjärv-See warteten die Frösche im Frühjahr nicht bis Schnee und Eis geschmolzen waren – die Paarung fand im Schnee, auf dem Eis und unter dem Eis statt. Im Mai war der Wald auf der Küstenklippe besonders schön und duftete nach der Blüte der mehrjährigen Mondviole, im Spätsommer reich an Hopfendolden, Ende Oktober waren sowohl die Rapsfelder als auch die Birkenwäldchen gelb. Wenig Schnee im Frühwinter, aber an einigen Orten wunderbares Licht und Rauhreif.
Januar
Die Schneewächten reichten bei Beginn des Tauwetters bis ans Dach, der Boden war nicht gefroren und auf dem Eis des Peipussees gelbes Wasser unter hohem Schnee. Schnee fällt und schmilzt auf der Oberfläche, die dicke Eisschicht auf dem Schnee lässt die ganze Welt silbrig schimmern. Es gibt Weidenkätzchen an den Büschen und 11 Seeadler gleichzeitig bei der Seeadler-Webcam. Die Schneeverwehungen ließen von der Fichtenhecke nur noch ein handbreites Band der Spitzen sehen.
Februar
Die Schneedecke ist noch immer mehr als einen Meter hoch, aber Anfang Februar brachte Tauwetter den Ahornsaft zum Fließen und die Fliederknospen waren prall gefüllt. Der Schnee ist voller Mücken und Spinnen, Schneeglöckchen strecken an der Hauswand ihre Spitzen heraus, Saatkrähen inspizieren ihre Nester. Dann kommt die große Kälte, 30 Grad unter Null. Das Eis zwingt die Schwäne aus dem Norden in die estnischen Küstengewässer. Schwierige Zeiten für Wildschweine und Rehe.
Februar: es gab viel Schnee und es schneite weiter ...
März
Das Trommeln der Spechte beginnt und die Meisenrufe verstummen keinen Augenblick lang. Das Tauwetter lässt die Wasser fließen. Trotz des Schneetreibens treffen Lerchen und Stare ein. Selbst Mitte März fällt noch viel Schnee, in Jõhvi liegt der Schnee 82 cm hoch. Ende März kommt es noch einmal zu so dichtem Schneefall, dass die Sicht weniger als ein paar Meter weit reicht. Aber Erlen- und Weidenkätzchen zeigen bereits den Frühling an.
März: die Schneedecke ist durch eine Eisschicht verharscht, das Rehwild-Rudel ist nach dem langen Winter erschöpft
April
Der Frühling schleicht sich plötzlich zu Anfang April an. Im Nu pfiff der Star, in den Schnee schmolzen Löcher und neben den Schneehaufen standen die Schneeglöckchen in voller Blüte. Etwa die Hälfte der Wildschweine überlebte den harten Winter. Die Menschen erwarteten umfangreiche Überflutungen. Die erreichten nicht das Niveau von 2010, aber die Wasserwanderer hatten viel Freude in den Überschwemmungsgebieten. Der Hexenbrunnen begann Mitte April „überzukochen‟. Ab der zweiten Woche flogen Schmetterlinge, Ende April war die Froschpaarung in vollem Gange und der Waldboden war blau von Leberblümchen.
April: Frösche sammeln sich an den Laichplätzen, weder Schnee noch Eis halten die Paarung auf!
Mai
Mitte Mai sind nahezu alle Zugvögel wieder zurück und der Chor der Frösche versucht, ihr Lied zu übertönen. Am Tuuleristipäev, dem Tag des kreuzenden Windes, schlugen Blitzschläge die Baumrinde lose, und die Kinder konnten Weidenpfeifen zwischen den Regenschauern fertigen. In der dritten Woche ist das Wasser des Emajõgi bereits 16 Grad warm. In der zweiten Maihälfte blühen Traubenkirschen und Flieder, schlüpfen die Starenküken aus dem Nest. Es gibt „weniger“ Mücken als im Vorjahr.
Mai: die Klippenküste ist übersät mit süß duftenden, mehrjährigen Mondviolen
Juni
Die Pilzsaison beginnt am 5. Juni, Champignons spitzen aus städtischen Rasenflächen. Der Juni ist warm und voll wilder Erdbeeren. Die ganze Welt ist voller Schmetterlinge, es gibt ihrer mehr als sonst und unglaublich interessante Arten fliegen herum. Es gibt viele Zecken, Mücken und Bremsen. Hitze und Feuchtigkeit machen Estland zum Insektenparadies. Gegen Mittsommer ist der knarzende Wachtelkönig nicht mehr in all dem Gras zu sehen. Wölfe, Bären und Luchse kommen, um Vieh zu schlagen, weil durch den Winter mit seinem tödlichen Schnee die Tafel im Wald kümmerlich gedeckt ist.
Juni: am Flussufer Wasser saugende Baumweißlinge zeigen an, dass der Sommer reich an Schmetterlingen werden wird
Juli
Der Juli brachte heißes Wetter und brannte die Menschen mit 30 Hitzegraden auf dem Jugend-Lied- und Tanz-Festival gleichzeitig braun und glücklich. Badegewässer sind warm und reich an Gewittern. Fuchs- und Marderhund-Welpen wuseln überall herum. Kirschen und Schattenmorellen, Molte- und Heidelbeeren reifen bereits Anfang Juli. Weißstörche haben fast alle 3 Küken im Horst. Der Kuckuck hört in der zweiten Juli-Woche auf zu rufen. In der dritten Woche „blüht‟ der Peipussee. Die Schmetterlinge fliegen noch den ganzen Juli über, gegen Ende Juli beginnen sich Zugvögel in Schwärmen zu sammeln.
August
Der August beginnt mit Schauern und Sternschnuppenregen. Bereits zu Monatsbeginn verstummte der Vogelstimmen Chor, aber desto kraftvoller war das Gezirpe der Grillen. Die Bäckchen der Preiselbeeren wurden ungewöhnlich früh rot, und bereits in der zweiten Woche begann die Natur rot-gelb anzulegen. Pflaumen plumpsten herunter ... , der Krieg der Wespen währte den ganzen Monat. Die Pilzsaison startet mit einem bunten Potpourri. Es gibt außergewöhnlich viele Pilze. Die Wölfe, die die Knappheit an Rehen aus dem Wald treibt, lassen neue Werwolf-Legenden sprießen. Fichten-Triebe sind einmal mehr meterlang. In den nördlichen Ländern gibt es eine Unmenge an Lemmingen.
August: Hopfen schwer von Dolden!
September
Die Dürre lässt das Wasser in Brunnen und Teichen Süd-Estlands versiegen. Der Peipussee zieht sich wieder in seine Grenzen zurück. Anfang September ist es so kühl, wie ein Herbstmonat sein sollte, die Bäume wechseln von grün nach gelb. Bären besuchen Apfelplantagen, aber es gibt nicht überall Äpfel. Der Sturm Katia bleibt eher zahm, aber der September ertrinkt im Nebel. Die Wetterweisen prophezeihen alle einen frühen Winter und den kältesten des Jahrhunderts. Die Kraniche ziehen Ende September.
Oktober
Schnee gibt es keinen, aber die Bäume werden früh kahl. Gänsescharen überqueren Estland. Es regnet, aber in Süd-Estland haben die Brunnen immer noch kein Wasser. Das Rehwild ist mehr geworden, aber für die Jäger sind es noch zu wenig. Die Jagd wurde bereits in die Schutzgebiete ausgedehnt. Pflanzen versuchen sich in einem zweiten Frühling an einer zweiten Blüte, sogar die Bäume knospen an manchen Orten. Raps blüht. In der zweite Oktober-Woche gab es Reif und ein wenig Schnee, der aber in der Tageswärme schnell verschwand.
November
Regenwürmer rascheln in der Grassnarbe, die Maulwürfe schieben sie mit einem Haufen Erde Richtung Himmel. Morgens ist das Gras bereift, aber tagsüber regnet es und auf dem Boden stehen Pfützen. Erdbeeren blühen, Rosenknospen sind rot. Wiesel und Hermelin sind weiß. Die Paarungszeit der Elche geht zu Ende. Die letzte Woche bringt 11 Grad Frost, aber Schnee gibt es nur kurz und örtlich begrenzt.
November: Raps blüht auf dem Feld, im Hintergrund ein gelbes Birkenwäldchen
Dezember
Der Dezember kommt als Schneehase, aber nicht einmal am Monatsende deckt Schnee den Boden. Am Heiligabend fielen feierliche weiße Flocken nieder, aber sie verschwanden wieder bis zum Weihnachtsende und die Natur trug wieder grün. Halb Estland hat Dürre und die andere Hälfte Hochwasser. Eine sechste Saison erreicht Soomaa an Weihnachten, das Wasser steigt um mehr als einen Meter. Der Sturm Patrick spült Meerwasser über die Strandpromenade von Haapsalu. In Pärnu kann man mit Gummibooten im Strandpark plantschen. Drei Sturm-Kinder nehmen am Jahresende vielen Familien den Strom. Robert legt fleißig die bislang standfesten Hainbäume um. Der Hexenbrunnen beginnt ein zweites Mal „überzukochen‟!