Fotos: Arne Ader
Aardla-Landschaft in Tartumaa: Schnee, Eis und Wasser
In Kürze: Hals gereckt, Ohren gespitzt. So warte ich zu Hause. Die Schneewächte sinkt, sinkt deutlich zusammen, ist bereits an der Spitze des untersten Fichtenzweiges, dann ein paar Nadeln tiefer ... schmilzt es gluckernd den Weg entlang zum Fluss. Aber nein! Das ist gar kein plätscherndes Wasser – ein kleiner brauner Fleck steigt in den Himmel – es ist eine Lerche!
Emfehlung:
In der warmen Sonne tauen die Erhebungen zuerst im Moor aus dem Schnee. Meist sind diese Erhöhungen, weiter draußen im Moor, wo die Leute im Herbst nicht hinkamen, voller Moosbeeren. Vögel und Tiere benötigen sie im Frühjahr als erste Vitaminration. Gehen Sie sich auch ein paar Hände voll von der reinen roten Gesundheit holen.
Die vier Wetterzeichen dieser Woche:
Begrüßungsruf der Kraniche,
eis-segelnde Robbenjunge,
Schneeglöckchen-Parade
und Frühling in der Luft.
So ungeduldig wir vor Weihnachten auf Schnee warteten, so ungeduldig warten wir nun darauf, dass er schmilzt. Nach und nach schaufle ich die Wächten weg und erfreue mich an jedem sich zeigenden grünen Fleck. Grün, genau, weil die Flecken, die im Winter wegen Schneeverwehung kahl lagen nun verwelkt sind. Aber dies ist auch die Zeit, in der die Sonne machtvoll abtaut – aber dann im nächsten Augenblick fliegt eine tiefblaue Sturmfahne über den Himmel und aus dem tiefsten Winter fallen stellvertretend riesige weiße Flocken herunter, und im Nu ist der Boden wieder weiß. Letzte Woche kam meine mittlere Tochter von der Schule nach Hause und schrie jubelnd, dass sie in der Mitte der asphaliterten Straße kriechend eine . . . wunderbar pelzige Raupe* sah. Wir freuten uns gemeinsam über diesen Abgesandten des Frühlings, aber einen Augenblick später stieg im Nordwesten ein dichter Wolkenschleier über Tartu und ein kräftiger Schneesturm, wie er nur im Frühjahr so vorkommt, wirbelte herum. Meine Tochter war sehr besorgt, die arme Raupe! Aber Frühjahrslebewesen sind derartige Überraschungen gewohnt, am Morgen wird der meiste Schnee geschmolzen sein und auch die Schmetterlingsraupe wird hoffentlich ihren Weg fortsetzen
* [päevakoer = Taghund]
Auf dem Schnee sind die ersten Schmetterlinge des Frühling unterwegs: die Raupe des Zimtbären
Möwenfrühling
Aber mit der Schneegrenze tanzen auch die Vögel herum. Erst eilen sie von der Küste landeinwärts, um vor allen anderen die besten Nistplätze zu besetzen, dann wieder huschen sie von gefrierenden Schmelzwasserlachen zurück an die Küsten. In Tartu wird der Frühling in jedem Jahr von den Möwen gebracht. Auch wenn es manchmal so scheint, als seien sie immer da, ist irgendwann in dieser Zeit der Himmel voll von diesen dreieckigen Fliegern. Wenn im nächsten Augenblick eine große Schar Möwen auf dem Eis des Anne-Kanals sitzt, dann können Sie es wirklich sagen –„Der Frühling ist gekommen!”
Krähennest-Hölzer
Aber dies ist gewiss auch die Zeit, in der wir von zwei Estlands sprechen können. Der Frühling hat es nicht so eilig, in die nördlichen Regionen zu kommen, es gibt immer zwei Wochen Unterschied. Wenn der Gesang der Lerche bereits in den Küsten- und Südregionen Estlands in vollem Gang ist, dann hört das nördliche Estland bestenfalls erste Piepser. Eines ist jedoch überall gleich. Die Krähen tragen große Zweige in die Nester. Manche sind länger als die Vögel selbst, aber die Krähen haben anscheinend aus den Stürmen etwas gelernt. Krähen und Saatkrähen sind alle mit Nestbau beschäftigt. Elstern verstehe ich bislang nicht, jeden Abend sitzt eine große Versammlung an meinen Fenstern und debattiert irgendetwas. Nistmaterial scheint sie nicht zu interessieren. Aber vielleicht sind jene Vögel in unserer Hecke eine unkonventionelle Bande von Jugendlichen.
Jetzt ist die rechte Zeit, auf einen Nachtspaziergang in den Park zu gehen. Von manchem besonders alten und hohlen Baum mag ein unerwarteter Ruf eines Waldkauzes ertönen. Rauhfußkäuze sind ebenfalls schon unterwegs, bei klarem Wetter hört man ihren Chorgesang ziemlich weit. Tagsüber kann man an den gleichen Stellen das Getrommel der Spechte ertönen hören.

Schneeglöckchen blühen!
Streunende alte Bären
Die nassen Betten haben auch im Wald die Bären geweckt, hier und dort wurden riesige Prankenabdrücke im Wald gesehen. Derzeit sind die Streuner meist Männchen, die Weibchen versuchen mit den Jungen in der Höhle zu bleiben. Marderhunde sind auch unterwegs, aber in eher verschlafenem Zustand. Einige von ihnen futtern jede Nacht vor der Looduskalender-Waldkamera Getreide. Zur Wochenmitte kamen viele Berichte über an die Küste gespülte Jungrobben, der Nordweststurm hat sie vermutlich an die Nordküste getrieben. Diese Robbenkinder sollten jetzt allein zurecht kommen, es ist normal so, ihre Eltern schaffen jetzt die nächste Generation und der Nachwuchs beginnt ein unabhängiges Leben. Die Leute sollten an der Küste ihre Hunde bei Fuß halten, wenn sie draußen spazieren gehen, die Bekanntschaft zwischen Hund und Robbennachwuchs endet nicht immer friedlich.
Die See im Finnischen Meerbusen ist jetzt offen. Unsere Inseln werden immer noch von weißen Eisflächen umgeben, aber im Eis sind lange schwarze Risse, die von einer Inseln zur nächsten reichen. Tatsächlich fliege ich in jedem Frühjahr für eine Weile Richtung Frühling. Und ich kann versichern, dass in Deutschland, nahe Hamburg, unsere Kraniche darauf warten, in ihre Heimat zurückzukehren, gelegentlich kreisen sie hoch oben mit lautem Rufen. Der Frühling ist nur ein paar tausend Kilometer entfernt, hier fliegen bereits gelbe Schmetterlinge, Schöllkraut und Buschwindröschen blühen, Buchfinken singen aus vollem Halse. Eine fast unglaubliche Geschichte sah ich außerdem. Das Auto eines unserer Freunde parkte unter einem Baum mit einem Nistkasten, und das arme Blaumeisenmännchen kämpfte des Morgens vier Stunden gegen das andere Blaumeisenmännchen aus dem Seitenspiegel. Schließlich hatte der Autobesitzer Mitleid mit ihm und bedeckte den Spiegel mit weißem Papier.
Odalätsi Quelle
Estlands Quellen: die Odalätsi Quelle
Die erstaunlichste Quellen in Saaremaa liegen neun Kilometer weit an der Kihelkonna-Pidula-Straße, auf der linken Seite. Die Odalätsi-Quellen, die am Grund des Flusses sprudeln, sind im Frühling, wenn die sie umgebende Natur erwacht und überall Vogelgesang widerhallt, wunderbar. Die Volkssage erzählt, dass einst der alte Gottseibeiuns schlummernd im Schatten eines Busches saß, seine besonders zauberkräftige Lanze unter seinem Kopf, als Suur Tõll ihn im Vorbeigehen bemerkte. Tõll
schnitt ein Paar Vogelbeeren-Stecken vom Busch und begann, ihn damit zu schlagen. Der Satan sprang vor Schreck und Schmerz auf und trat in seiner Hektik auf seinen Speer, so dass dieser in zwei Teile zerbrach. Der Satan warf unglücklich seinen Speer in den Wald und rief traurig: „Oda läts, oda läts!" (Speer vergangen, Speer vergangen), und verschwand in solcher Eile, dass unter jedem Huftritt eine Quelle hervorquoll. Die Quellen und der Ort wurden nach der zerbrochenen Lanze benannt.
ZITAT:
Der Hain ist unantastbar. Alles Übel, auch böse Worte, sind im Hain verboten. In den Hain hat man mit sauberem Körper und reinem Geist zu gehen. Maavald
Übersetzung: Liis und Leonia