„Wir sollten alle Wildtiere respektieren“, sagt Vaike Kukk, die die Auszeichnung des Magazins Loodusesõber für die beste Wolfs- Erzählung über das Viehhüten unter den Geschichten, die während des Jahres des Wolfes gesammelt wurden, bekam. „Jedes Tier hat seinen Platz in der Natur und so auch der Wolf. Wir wissen nicht wie der Ort sein wird, wenn es das Tier nicht mehr gibt.“ Vaike selbst züchtet Ziegen seit vielen Jahren, aber sie fürchtet keine Angriffe von Wölfen auf ihre Lieblinge. Ihrer Ansicht nach muss der Besitzer selbst seine Herde schützen und das Verhalten der Tiere des Waldes mit berücksichtigen. Vaike fühlt sich zum Beispiel von Rehen belästigt, die all die Triebe in ihrem Moosbeergarten abfressen. „Wegen der jungen Böcke mussten wir einen Zaun um die Moosbeeren bauen“ sagt sie und fügt hinzu, dass es normal sein muss für den Schutz des eigenen Viehs und Gartens zu sorgen.
Wie viele Wölfe sollten in unseren Wäldern sein? Eine vernünftige Anzahl denke ich. Nicht zu viele, nicht zu wenige, “ sagt Vaike.
Vaike Kukk beim Finale vom Jahr des Wolfes in der Estnischen Konzerthalle im Dezember 2013. Foto: Mats Kangur
Wolfgeschichten
Mein Zuhause ist mitten im Wald am Rand eines Moores. Ein altes Bauernhaus in einer Lichtung, mit einer alten Scheune und einem neuen Viehstall (Holzschuppen, Heuboden, Viehstall und Waschküche, alles unter einem Dach). Rundum sind Felder. Hinter dem Viehstall Weiden. Hinter dem Hof ein Teich und dahinter mehr Weiden.
Geschichte von 1949-1950
Es war ein ruhiger heißer Sommertag. Ich kann mich nicht mehr erinnern, warum Mutter mich zum Viehstall geschickt hatte, wahrscheinlich um etwas zu holen.
Ich hüpfte zur Scheune. Davor war ein eingezäuntes Viehgehege von wo der Pfad zur Weide führte. Ich machte mir nicht die Mühe das Tor des Viehgeheges zu öffnen und kletterte über das Tor. Gerade als ich oben auf dem Tor saß hielt ich an und schaute mich um. Erst kam das Schaf, dann Maasik, die Färse und schließlich Laura eine schwarz-weiße Kuh mit großen gespreizten Hörnern.
Das Schaf ging in den Stall, die Färse auch und dann sah ich einen großen grauen Schäferhund. Er kam in gutem Trab hinter Laura. Genau wie ein Hirte, der seine Herde zur Mittagszeit heimtreibt.
Ein Moment des Nachdenkens – in diesem Ort hatte niemand einen Schäferhund, außer meinem Onkel. Doch dieser …. Ich fing an ihn zu beschimpfen und zu ermahnen – Woher-kommst-Du und Geh-wieder-nachhause und so weiter. Ich schrie wohl ziemlich laut und beschimpfte ihn. Laura ging in den Viehstall. Der Hund blieb stehen und schaute in Richtung Scheune, dann auf mich. Ich saß immer noch rittlings auf dem Tor. Ich schimpfte noch mehr und reizte meinen kleinen Hund ihn anzugreifen. Das Tier stand einen Moment mit Blick auf die Scheune und dann wieder auf mich und drehte sich dann um und schlenderte davon auf die Weide und verschwand im Wald. Tuti unser kleiner pelziger Köter rannte ihm nach. Doch Tuti verhielt sich merkwürdig, hielt eine gewisse Distanz, ging Schritt für Schritt. Bellte Wuff! Und dann wieder eine kleine Weile Wuff! Als Tuti schon an der Weide war, saß ich immer noch auf dem Tor. Erst dann fing ich an zu begreifen, dass das ein Wolf war. Ich begann Tuti zurück zu rufen, hatte Angst, dass der sich Tuti nehmen könnte. Ich kletterte vom Tor herunter und schloss als erstes die Stalltür, sodass der Wolf nicht hineinkommen konnte.
Später, als ich Mutter von dem großen Hund erzählte, sagte sie, als sie Laura melken ging, dass eine lange blutende Wunde an Lauras Brust war. Laura war wie eine Mutter für die Herde, sie schütze alle. Offenbar hatte sich Lara dem Wolf gestellt, wie sonst hätte sie verwundet werden können.
Eine andere Geschichte
Eines Tages kam ich zu Fuß nachhause aus Eidapere (8 Kilometer). Als ich über das Moor zu unserem Dorf kam, etwas entfernt vom Forsthaus, wuchs auf beiden Seiten der Straße ein dichter Staatswald. Als ich dorthin kam hörte ich plötzlich ein leises Krachen und blieb stehen. Der Wald in meinem Rücken raschelte, ich hörte nichts außer dem Rascheln. Ich begann weiter zu laufen, aber hatte die ganze Zeit das Gefühl dass irgendetwas mir folgte. Ich konnte dieses Gefühl nicht loswerden, bevor ich aus dem Wald auf offene Landschaft kam, nahe meinem Zuhause. Das war merkwürdig. Du weißt und fühlst mit all deinem Körper und Sinnen, dass irgendjemand dich verfolgt. Du siehst ihn nicht, aber du fühlst es. Ich bin diese Straße hunderte von Malen gegangen, am Morgen, spät am Abend, Mittags, sogar nachts, aber ich hatte niemals das Gefühl, dass jemand mich verfolgt.
Geschichte von 1960-1966
Das war zu einer Zeit als mein Vater schon zuhause war. Die Kolchosen Färsen waren auf der Weide. Es lebten keine Menschen mehr am anderen Ende des Dorfes, und ihr Farmland wurde für die Färsen darauf zu grasen genutzt. Eines Tages oder nachts hatten Wölfe ein oder zwei Färsen gerissen. Die Kolchose wollte Männer hinausschicken um den Wölfen aufzulauern. Die Jäger waren jedoch der Ansicht, dass es ihre Pflicht war die Wölfe zu jagen. Und ein Streit brach aus. Das Ergebnis war, dass einer und dann ein anderer versprachen zu gehen, doch während der Streit weiterging, handelten die Wölfe und holten sich ihren Anteil …. die Jäger und die Männer der Kolchose blieben ohne Wölfe ….
Das sind meine Wolfsgeschichten.
Vaike Kukk
Haaviku Bauernhof am Võrtsjärv See
Kommentare von Wolfsforscher Peep Männil:
Zur ersten Geschichte
Wölfe, insbesondere einsame Tiere, scheuen sich größere Tiere anzugreifen. Selbst jetzt sind es vor allem Schafe aus der Reihe der Haustiere die getötet werden, und unter den Rindern nur junge Tiere. Größere und/oder aggressivere Tiere in Herden werden vom Wolf gemieden und er wartet auf ein kleineres Tier um es von der Herde zu trennen. Damals wartete der Wolf wahrscheinlich auch auf eine günstige Gelegenheit, doch die kam nicht und so zog der Wolf zusammen mit der Herde zum Viehstall. In der Regel greift ein Wolf größere Tiere, wie Kühe oder Elche von hinten an, und so habe ich meine Zweifel, dass Lauras Brustwunde durch Wolfszähnen verursacht wurde.
Zur zweiten Geschichte
Wölfe haben manchmal die Angewohnheit Menschen zu begleiten. Ob sie das aus Neugierde tun oder aus einem anderen Grund weiß man nicht. Doch sicherlich sieht der Wolf den Menschen nicht als Beute. Früher dachten die Menschen von diesem Verhalten, dass der Wolf Menschen vor bösen Geistern bewahrt.