Garten-Werklers Tagebuch. April
Illustriert und verfasst von: Tiit Kändler
April: Zug-Tiere kehren zurück
Im April beginnt im Garten die Qualität die Quantität zu überwiegen. Oder: statt der Schneewächten taucht von irgendwoher Mathematik auf. Die Mathematik des Gartens bestimmt die Maße des Garten-Raumes, oder, ob der gewöhnliche Euklidische Raum vorherrscht, oder statt dessen der gekrümmte Riemannsche Raum, oder der gebogene Raum Lobatševskis. Die Zeit, die gegen Winterende den Anschein gänzlichen Stillstands zeigte, kommt wieder in Bewegung und verbindet sich mit dem Raum. Die vier alten kosmischen Elemente Wasser, Feuer, Erde und Luft sind losgelassen und in vollstem Schwange.
Der ansonsten winzige Treppoja-Bach hat sich zu einem Fluss mit so viel Wasser entwickelt, dass es die Stufen hinauf fließen könnte, falls es auf die Idee käme. Aber es kommt nicht, es geht – immer Richtung Meer. Es scheint, dass der Fluss, obwohl er einen freien Willen hat, ihn nicht nutzt, oder, falls er ihn nutzt, dann in der üblichen Weise.
Schnee wird auch im April fallen, aber er sieht aus wie ein weißes Rauschen, wie ein Fernsehbild, wenn die Übertragung beendet ist.
Vor dem Hintergrund dieses weißen Geschwirrs treffen die Zug-Tiere ein, vor allem natürlich Vögel. Sie sind voller Reiseeindrücke und kennen alle Arte von Sprachen. Rufen „horošo, horošo” hier und „bonjour, bonjour”, und dort „welldone, welldone”, nur ein armseeliger kleiner Typ anwortet „heaküll, heaküll!” [estnisch: Schon gut, schon gut]
Der erste Schmetterling ist natürlich gelb und der Garten-Werkler kann ihn nicht mit seinen Augen einfangen, um ihn mit seinen geistigen Wasserfarben bunt anzumalen. So wird der Sommer wieder eintönig werden – aber das ist gut so, ein zwei- oder drei-töniger Sommer könnte insgesamt außer Kontrolle geraten. Und wenn ein Sommer außer Kontrolle gerät, sollte man das Weite suchen.
Dann erreichen die ersten Pflanzen den Garten. Wer weiß schon, wo sie während des Winters waren, sie werden keine lauten Grüße rufen, nur leise irgendwo gen Himmel sprießen von irgendwo hinter den erschreckenden Erdhaufen der Wasserspitzmaus. Ist es nicht merkwürdig, dass im Frühjahr solche Pflanzen die für das Überleben aller grasfressenden Pflanzenfresser lebenswichtigen Elemente enthalten? Sie sind nicht nur im Sommer nicht gern gesehen, sondern jeder versucht sie auf irgendeine Weise loszuwerden. Giersch, Löwenzahn, Brennnesseln sind am reichsten an Vitaminen und Mineralstoffen. Sie sind Pionier-Pflanzen, und der Schlüssel zu ihrer Vitalität mag gerade in dieser Fähigkeit liegen, in sich die lebensnotwendigen Elemente aufzunehmen. Hat Gott, als er solche Pflanzen schuf, geplant die Pflanzenfresser zu erhalten, indem sie davon im Frühjahr essen?
Der Garten-Werkler erinnert sich an einen Nachrichten-Beitrag über die am besten schmeckende Pflanze der Welt. Spürt Ihre Zunge, welches die beiden wertvollsten Arten von Geschmack in der Welt sind? Einer davon ist Vanille. Es ist eine Mischung, die aus den Früchten der Vanille-Orchidee, den Vanille-Schoten, extrahiert wird. Das ist eine tropische weinähnliche Kletterpflanze, die ursprünglich bei den zentralamerikanischen Hochkulturen wie den Azteken angebaut wurde, aber nun wächst sie wo immer es möglich ist. Aber es gibt einen Geschmack, der die der Vanille überragt. Das ist Schokolade. Vanille kommt in einer anderen wichtigen Liste an zweiter Stelle. Ihr Aroma ist das nach dem des Safrans teuerste.
Aber für die Menschen ist kein anderes Lebewesen gut genug. Die Vanille-Orchidee muss auch weiterentwickelt werden zu etwas besserem. Herkömmlich wird die Vanille-Pflanze durch Stecklinge vermehrt, aber das ist sehr mühsam und verändert die Fruchtbarkeit der Mutterpflanze. Die Zellkultur-Methode würde einfach und damit auch billiger sein. Das Problem liegt darin, dass solche Sub-Klone dazu neigen, sich zu entwickeln und im Verhältnis zur Mutterpflanze weniger fruchtbare Subtypen zu bilden. Daher versuchen Wissenschaftler, sie zu züchten. Warum nicht versuchen, Kulturen von menschlichem Gewebe zu schaffen, in denen keine faulen, schlampigen, dummen oder verrückten Wesen erlaubt sind? Aber nein, nicht erlaubt, die Politiker erlauben die Manipulation von Menschen nicht, behaupten, es sei unethisch.
Aber es ist nicht bereits unethisch, Verstand zu kontrollieren. Macht nichts, wenn auch der Verstand nur der eines kleinen Wurmes ist. Und so wird ein Laserstrahl in die Zellen des durchscheinenden Körpers der Nematode C. elegans geschickt, die zu den Fadenwürmern zählt.
Und man hat gelernt, wie man mit Lichtstrahlen verschiedene Neuronen verbinden oder trennen kann, ohne Elektroden zu nutzen. Als die kleinen Würmchen frei in der kleinen Laborschale schwammen, war es möglich, den Beginn ihrer Schwimmbewegung mit Lasersignalen zu dirigieren und sogar, sie zur Eiablage zu bewegen. Nun, man muss keine Nematode sein, um durch Licht aktiviert zu werden und ebensowenig die Körperzellen. Im April ist es bereits hell und der Garten-Werkler fühlt, wie sich das auf sie auswirkt. Es lässt sie sogar seufzen — Spaten und Harken, Hacken und Karren müssen gefunden werden. Es ist Zeit, den Garten zu rechen!
Wie Ganoven anständige Bürger auskehren, so kehrt des Garten-Werklers Rechen anständige Gärten aus. Und findet unglaubliche Dinge dort, abgesehen von Zapfen und Aststücken, Nadeln und Blättern. Ein bisschen Schnur, ein Stück Draht und – oh, schau mal – die Astschere, die – Gott weiß wann – im Herbst ihre eigenen Wege ging. Wo mag sie inzwischen gewesen sein? Aber hier ist sie nun, klappert mit ihren Schneiden und verlangt: schneide Äste!
Oh nein, nicht jetzt, lass es noch wärmer werde, bis Maianfang gibt es immer noch Zeit, Äste zu schneiden.
Lieber zuschauen, wie die gerade eingetroffenen Vögel fliegen. Ja, wir sehen, dass der Vogel fliegt, und wir wissen, dass er ein sehr guter Navigator ist. Aber wir wollen nicht unbedingt wissen, dass der Vogel einen guten Geruchssinn hat. Aber ebenso, wie der Vogel vom Dinosaurier stammt, so auch sein Geruchssinn. Und noch dazu: der Vogel war nicht zufrieden mit der Nase des Dinosauriers und entwickelte seinen eigenen Geruchssinn weiter.
Der älteste bekannte Vogel Archaeopteryx erbte seinen Geruchssinn von einem kleinen fleischfressenden Dinosaurier vor 150 Millionen Jahren. Jahrmillionen vergingen und vor 95 Millionen Jahren konnten die Vorfahren der heutigen Vögel bereits besser riechen. Vielleicht hilft ihnen der scharfe Geruchssinn kombiniert mit gutem Sehvermögen und Koordination besser zu navigieren.
Aufgrund von Untersuchungen der Riechkolben im Schädel von Fossilien schloss man, dass Archaeopteryx bereits einen Geruchssinn hatte wie etwa heutige Tauben. Geier und Albatrosse sind bekannt für ihren hervorragenden Geruchsinn, den sie für die Suche nach Nahrung sowie zur Navigation auf langen Flügen benötigen. Ungefähr der gleiche Geruchssinn hat sich in den kleinen Velociraptoren entwickelt — Typ Dinosaurier.
Enten und Flamingos haben relativ große Riechkolben, während wir jeden Tag Vögel mit kleineren Riechkolben sehen, etwa Krähen und Finken und Meisen an Futterplätzen, und Papageien auf Käfigstangen. Vielleicht sind Krähen und Papageien wegen ihres schlechten Geruchssinns schlau – sie müssen schließlich dieses Manko irgendwie kompensieren. Wer einen schlechten Geruchssinn hat, muss sich mit Mathematik befassen. Die Nebelkrähe ist einer der besten Mathematiker im Garten, kann bis fünf zählen, und wenn es sein muss, sogar bis sechs. Was macht es, dass ihr Gewand irgendwie grau ist ...
Übersetzung: Liis und Leonia