Text: Kristel Vilbaste
Fotos: Arne Ader
Zeit der Heuernte und Weißstörche: untrennbar...
„Pii-i-ks!“ klingt es aus der Birke neben mir. Ich richte meinen Kopf nach oben. „Pii-i-ks!“ klingt es aus der Kiefer weiter weg. Ich wende meinen Kopf herum wie eine Eule, aber es ist niemand zu sehen.
Die vier Wetterzeichen dieser Woche:
Moltebeeren-Süße,
die rosafarbenen Blüten des Weidenröschens,
sonnenbadende Nattern
und der „blühende“ Peipussee.
Um die Piepser zu entdecken, laufe ich von einem Baum zum anderen, aber eine ganze Zeit lang spielen sie mit mir Verstecken. Aber endlich entdecke ich im Schutz einer Birke kleine Eulen mit langen Federohren und solch liebenswerten Augen – die Jungen der Waldohreule. Das letzte Mal hat sie hier vor fünf Jahren gebrütet, ich weiß nicht, ob die Altvögel gestorben sind oder die Eichhörnchen zu starke Konkurrenten für die Gelege waren. Aber jetzt sind sie zurückgekehrt. Es sind mindestens drei Piepser, es wäre besser, sie am frühen Abend zu zählen, in dieser Hitze wollen sie sicherlich nicht herumfliegen – obwohl sie von Natur her tagaktive Eulen sind. Aber am Abend mag ich nicht am Ufer des Peipussees sein, weil die Mücken auch die kleinste Öffnung in unserer Kleidung finden und es schaffen, einen menschlichen Körper innerhalb so kurzer Zeit derart zu zerstechen, dass man danach ringsum verschwollen ist. Aber am Tage ist es hier in Vilusi angenehm, das Wasser des Sees ist 4-5 Grad wärmer als anderswo in Estland. Am Freitag waren es in Tamula in Võru nur 22 Grad, hier jedoch dauerhaft 26 Grad, in einigen kleinen Buchten in Ufernähe sogar mehr. Es ist war, der Peipussee blüht. Wie immer zu dieser Zeit. Aber das ist kein Hindernis um im Geplätscher der Wellen das Wasser zu genießen. Eine Seeschwalbe taucht senkrecht neben mir ins Wasser ein und schnappt sich einen kleinen Rotaugenbraten, dessen silbriger Rücken wie ein Juwel in der Sonne glitzert. Der Fischadler probiert es nicht sehr erfolgreich inmitten des Schilfes – erst im dritten Tauchgang hat er einen langen sich windenden Körper in seinen Klauen, möglicherweise einen Hecht. Die mit einem Boot vom See zurückkehrenden Fischer haben nur ein paar Barsche und ein Rotauge fangen können, aber der weibliche Teil der Gesellschaft ist sonnengebräunt und glücklich.

Waldohreulenjunges
Erdbeeren in Kannen und Eimern
Die Erdbeer-Orgie in den Feldern und an den Waldrändern geht weiter. Ein Amseljunges hier in Kütiorg ist nahezu wie ein zahmes Hühnchen, bewegt sich nicht vom Gartenbeet fort, selbst wenn man wütende Geräusche von sich gibt. Langsam, langsam wandelt sich die Erdbeer-Diät zur Johannibeermahlzeit. Die reifen schwarzen Johannisbeeren scheinen kein Interesse zu wecken. Aotäht hat die fest Ansicht, das diese Amsel plant, eine Ballettschule zu besuchen und daher nur vegetarische Nahrung zu sich nimmt, um eine schlanke Figur zu behalten; offenbar hat sie bereits in der Kinderstube protestiert, wenn die Mama mit einem Schnabel voll fetter Mücken erschien. Wilde Erdbeeren kann man nach wie vor in Kannen haben, die Finger sind ständig rot davon. Nun sind die schattigeren Beerenreviere dran. Die beliebtesten Moltebeeren-Gebiete ist man bereits einmal durchgegangen, und ziemlich erfolgreich. Und in den Städten findet das Kochen von Kirschmarmeladen kein Ende.
Herbstzug
Aber der Herbst schleicht sich heran. Auf den Feldern sammeln sich die ersten Zugvögel. Bruder Enn erzählt aus Nigula, dass es dort 30 Individuen umfassende Scharen von Kiebitze in den Wiesen gibt und dass die Uferschnepfen in Gruppen zu einem Dutzend zusammenbleiben. Die Heuernte ist in vollem Gange, immer mehr Kugeln trockenen Heues stapeln sich auf den Feldern; in diesem Jahr sieht man fast keine Kunststoffkugeln mehr. Ich konnte eine Szene in Jõgevamaa beobachten, wo ein Traktor das Gras mähte, in dem er im Kreis über das Feld zog und nun das letzte Fleckchen in der Mitte der Wiese erreichte; um diesen Fleck herum lauerten fünf Weißstörche, ein Bussard und Möwen – was seine Nase aus dem Heu streckte, wurde von einem Schnabel gepackt. Für einen Traktorfahrer muss es schrecklich sein, jeden Tag einen solchen Massenmord sehen zu müssen.
Eine Krabbenspinne hat ein Braunes Waldvögelein gefangen
Schirmblütenparade
Auf den Wiesen enthält das Gras bereits so harte Stängel, dass es nur noch mit einem großen Traktor gemäht werden kann. Die wilden Wiesen-Pastinaken haben ihre gelben Blütendolden über das hohe Gras gehoben, feuchte Wiesen und Ufersäume sind voller weißer Blüten von Wasserschierling und großem Wasserfenchel. Die weißen Blütenstände der wilden Möhre wirken wie die zarte Strickspitze der Trachtentücher von Haapsalu. Die violetten „Kartoffelblüten“ des bittersüßen Nachtschattens stehen neben den rosa Trichterblüten der Zaunwinde. Das Weidenröschen überzieht alles mit violett. Jetzt ist die beste Zeit, um Echten Dost (Origanum vulgare), Johanniskraut, Schafgarbe und kleinblättriges Weidenröschen als Gewürzkräuter zu pflücken. Und die Holländische Linde steht in voller Blüte. Die weidenblättrige Sumpfschafgarbe liebt den diesjährigen hohen Wasserstand an den Ufern des Peipussees, auf den Ufern reichen ihre weißen Blüten bis zur Nase eines Erwachsenen. Die Ähren des Roggens haben sich bereits gesenkt, Gerste und Hafer haben Blütenanhängsel gebildet.
Froschhüpfer
Es gibt in diesem Jahr erstaunlich viele Frösche, sie sind überall im Gras, besonders viele Kröten. Auf unserem Wasserbassin in unserem Hof in Ilmamäe in der nordwestlichen Ecke des Haanja Naturparks sonnen sich immer mindestens fünf Laubfrösche im Sonnenschein, und sobald sich Schritte nähern, springen sie mit lautem Platsch ins Wasser. Die Eidechsen sind auch zurückgekehrt, es gab bereits Klagen, dass sie in der Winterkälte alle umgekommen seien, aber jetzt kann man ein paar von ihnen an den üblichen Stellen sehen. Es gibt außergewöhnlich viele Nattern, sogar Leute, die noch nie im Leben eine Schlange sahen, bekommen jetzt welche zu sehen. Felltragende Lebewesen jedoch bleiben im kühlen Wald mit Ausnahme der Luchsjungen, die gehört haben mögen, dass die Wohnungpreise in Lasnamäe gefallen seien. *)
*) Aus dem Tallinner Vorort Lasnamäe war von der Beobachtung eines jungen herumstreunenden Luchses berichtet worden.
Sumpfherzblatt
Blumengeschichte: Sumpfherzblatt
In den wirklich alten Zeiten war das Heuen einfacher, man konnte saftiges Gras bis zum Herbst hin mähen. Aber die Menschen wurden gierig und begannen, immer mehr Vieh zu halten und horteten dafür Winterheu. So viel, dass die Samen der Wiesenpflanzen keine Zeit zur Reife hatten. Die Pflanzen gingen alle zusammen zum Altvater, um sich darüber zu beklagen. Und so wurde eine schöne neue Blume mit drahtigem Stengel und weißen Blüten geschickt, um zu helfen, und sie bekam den Namen Eisennagel (oder estnisch Ädallill; Ädal ist das frische Gras, das nach der letzten Heumahd wächst; im Deutschen Sumpfherzblatt, lat. Parnassia palustris), und es machte die Sensenklinge stumpf bereits bei einem einzigen Sensenschwung. Seither ist die Blüte des Sumpfherzblatts für die Bauern das Zeichen, dass die Zeit der Heuernte vorüber ist.
Zitat:
An St. Margarets Tag, dem 13. Juli, verschwinden die Bremsen und der „Spuk“ im Wald. *)
*) Auch als Bärentag bekannt; man sollte sich an jenem Tag von Wäldern fern halten, aber man könnte erfolgreich Getreideschädlinge in Nachbarsfeldern verbreiten oder verhindern, dass sie sich in die eigenen Feldern eindringen.
Übersetzung: Liis und Leonia