Text: Kristel Vilbaste
Foto: Arne Ader
Morgens und abends jagen die Füchse auf abgeernteten Feldern nach Mäusen
„Sirrrrrrrr!“ klingt es von links und „sirrrrr!“ hört man von rechts. Die Kette meines Fahrrades zirpt glücklich im Kreis. Glücklicher mittsommerlicher Grillengesang. Aber dann eine sehr südliche Stimme – eine Zikade? In Tartu?
Die vier Wetter-Zeichen dieser Woche:
Zuggezwitscher der Schwalben,
gelbe Birkenblätter,
endloses Grillengezirpe
und Nordlicht und Sonnen-Halos.
Der Zahn des Zweifels nagte an mir; der Klang, den ich früher schon in südlichen Nächten hörte, ist wundervoll und im Norden nicht zu glauben. Einen Augenblick lang dachte ich an eine Maulwurfsgrille, aber für dieses winzige Tier ist die Landschaft hier zu überwuchert. Die kanadische Goldrute steht hüfthoch, vermischt mit den wolligen Köpfen der Disteln und den gelben Knöpfen des Rainfarns. Aber nichts ist für alle Zeiten unmöglich. Beispielsweise, dass das Braunkehlchen so wütend nach dem herumlaufenden Jungfuchs hackt, oder das ein Kaninchen beim über die Straße huschen seine Ohren im Wind wehen lässt. In der Nähe einer großen Stadt geht ein glückliches Wildleben weiter, aber stets bevor die Stadt erwacht. Um sechs Uhr früh singt fröhlich die Lerche, am Himmel schwingt ein schwarz-weißer Flügelschatten vorbei – ein Weißstorch. Aber die Radwege sind Fallen auf den Wegen der kleineren Insektenfresser – beim Hinunterrollen zähle ich: eins, zwei, drei Maulwurfskörper ... und eine kleine rotnasige Spitzmaus. Das Asphaltband zu queren besiegelte ihr Schicksal. In manchen Orten auf der Welt baut man diesen kleinen Kreaturen oberirdische Querungshilfen oder unterirdische Tunnel.

Der Gesang der Grillen und Grashüpfer geht weiter. Warzenbeißer-Laubheuschrecke
Waldverluste
Während des größten Teiles der vergangenen Woche war ich unterwegs. Und es ist bedauerlich, wie erschreckend weit die Holzfäller fortgeschritten sind. Bei Roosta kam ich auf Empfehlung der Auto-Elektronik auf eine alte Forststraße, an deren Seiten das gigantische Grauen alle Bäume herausgefressen und versucht hatte, seine Opfer in den großen Regen hinaus zu ziehen. Es war für unseren schwedischen Begleiter eine große Überraschung, dass dies in diesen besonders feuergefährdeten staatlichen Forsten erlaubt ist. Aber wir erklärten ihm, dass in den staatlichen Wäldern jetzt auch ganz andere Dinge heimlich geschehen. Die RMK, die staatliche Forstverwaltung sucht jemanden, der 100 ha des Soomaa Nationalpark-Waldes fällt, die man ihnen im vergangenen Jahr geschenkt hat. Ein Ort, an dem auch jetzt noch die alten Auenwiesen nur mit großem Aufwand offen gehalten werden. Allmählich beginnen die Dinge zu geschehen, vor denen uns die Umweltschützer warnten — wenn es nicht mehr genug Wald gibt, dann werden auch die geschützten Wälder gefällt werden . . .
Preiselbeeren bekommen rote Bäckchen
Der Herbst selbst aber beginnt im Wald. Die Preiselbeeren tragen ein rotes Bäckchen und haben nun die andere Seite Gottes Sonnenschein zugewendet. Man kann immer noch seine Lippen heidelbeerenschwarz färben, und man kann ebenso auch einen modernen Lippenbalsam aus reifen Brombeeren erhalten. Stämmige Steinpilze drücken sich durch das Moos nach oben, das Heer der Täublinge erscheint nach und nach zu deren Füßen. Die Bäume selbst lassen sachte die ersten gelben Blätter fallen, auf den Eichen sitzen nur wenige zukünftige Eicheln, die Haselnüsse haben bereits einen Kern, aber immer noch mit grasigem Geschmack. Der Traubenholunder ist rot, die Eberesche herbstlich orange, der Faulbaum schwarz. Die Weiden sind deutlich bräunlicher geworden, die Traubenkirschen haben die ersten roten Blätter.
Vogelscharen vernaschen Beeren. Dorngrasmücke im Traubenholunder
Insektengewimmel
Zusätzlich zu den diesjährigen Unmengen an Schmetterlingen gibt es auch zahlreiche Käfer. Über die Straße huschen um ein Vielfaches mehr als sonst, überall auf den Holzpfählen sitzen Bockkäfer. Baumwanzen trifft man in jeder zehnten Handvoll Beeren, Rüsselkäfer haben die Blätter löchrig gefressen. Es gibt wieder Marienkäfer-Bänder an den Stränden wie seit Gott weiß wievielen Jahren nicht mehr. Es gibt auch viele Spinnen und Spinnennetze, bald sollten dieses Netze ihre Spuren in unserer morgendlichen Landschaft zeigen, wenn die Zeit der Nebel beginnt. Mitte letzter Woche erhielt sogar die Sonne eines Abends einen Halo-Ring durch die Luftfeuchtigkeit, und in der Nacht sieht man die Nebelelfen bereits überall tanzen.
Schwalbenreihen
Haben Sie bemerkt, dass die Vögel nicht mehr singen? Frühherbst. Jetzt hört man nur noch Zugrufe. Das Rotschwänzchen-Paar in der Gartenecke stopft in Eile die Bäuche ihrer letzten Brut voll. Die gelben Schnäbel einer verspäteten Schwalbenfamilie sind ständig geöffnet, so stark ist ihr Drang rechtzeitig zum Herbstzug ausgewachsen zu sein. Weil die anderen bereits auf jeder Art von Stange hocken und das Wissen für den Vogelzug wiederholen. Das Verhalten der Schwalben hat sich in den letzten Jahren verändert, da die Überland-Stromleitungen verschwanden, zwang sie das, andere Rastplätze zu finden; als Sitzstangen dienen Dachrinnen, Überstände der Dachabdeckungen und sogar Zweige abgestorbener Bäume tun ihren Dienst. Aber jeder der unseren Nationalvogel und diesjährigen Vogel des Jahres dazu bringen möchte, am eigenen Haus zu nisten, muss das Aufspannen von Wäscheleinen zwischen den Häusern in Erwägung ziehen.
An den Haselnusssträuchern reifen in diesem Jahr viele Früchte
Blumengeschichte:
In den alten Zeiten sollen die Haselnüsse auf den Nussbäumen ohne Schalen gewachsen sein und sie schmeckten auch bereits als junge Früchte süß. Aber die Kinder ließen die Früchte nicht reifen, sondern rissen sie alle bereit ganz jung aus dem Laub. Daher dachte sich der Waldgeist, es sei besser die Nüsse erst im reifen Zustand zu essen, und deshalb machte er den Inhalt der Nüsse im Jugendstadium säuerlich und umhüllte sie mit einem harten Mantel, in dem die junge Nuss so gut verankert war, dass man sie nicht mit den Zähnen zerbeißen konnte. Nur wenn die Nüsse reif sind, lösen sie sich aus der groben Umhüllung. Seit dieser Zeit her können die Kinder keine jungen Nüsse mehr essen, sie lassen sie reifen und pflücken sie erst dann.
Zitat:
Wenn man ein Büschel von den Haaren der Frau in ein Loch in der Zimmerwand stopft und das Loch mit einem Ebereschen-Zapfen verschließt, dann wird die Frau dableiben.
Übersetzung: Liis und Leonia