Es wurde in diesem Jahr viel in den Medien über Kreuzottern berichtet.
Kreuzottern versuchen meist dem von Menschen verursachten Lärm zu entfliehen. Aber wenn es dazu keine Gelegenheit gibt, richten sie ihren Kopf auf und machen sich durch Zischen bemerkbar. Sie beißen zu, wenn man unachtsam auf sie tritt, oder wen sie durch zu wenig Platz gestresst sind.
Ihre Lebensräume sind stets dort, wo Wasser in der Nähe ist: an Seeufern, in feuchten Mischwäldern, Sümpfen, Mooren, an Waldrändern und sogar an der Küste. Kreuzottern sind sesshafte Lebewesen und mögen sich nicht viel weiter als 100 Meter von ihrer "Sommerwohnung" zur Suche nach Nahrung und Wasser fortbewegen. Sie werden von einem Fleck fortziehen, wenn sie gestört werden, zum Beispiel wenn die Eignerfamilie in ihrem Sommerhaus für einen längeren Aufenthalt eintrifft — aber meist geht die gemeinsame "Territorialnutzung" friedlich aus. Natürlich sind Konflikte möglich, aber man sollte nicht vergessen, dass Kreuzottern eher weichen denn angreifen. Sie sind recht tolerante Lebewesen.
Die fünfjährigen geschlechtsreifen weiblichen Kreuzottern gebären im August. Fünf bis zehn oder manchmal sogar mehr junge Ottern können in einem Wurf sein. Die jungen Kreuzottern, die sofort ein unabhängiges Leben führen, sind etwa fünfzehn Zentimeter lang; Ende September, wenn sie das Winterquartier aufsuchen, sind sie schon ein wenig länger geworden. Sie haben sich von Schmetterlings-Raupen, Regenwürmern, Schnecken, Insekten und diesjährigen jungen Fröschen ernährt. Jedes Jahr kommen etwas mehr als zehn Zentimeter an Körperlänge hinzu.
Vor Jahren hatte Erik Puura einen fundierten Überblick zusammengestellt, was im Falle eines Kreuzotternbisses zu tun ist.
Hier die wichtigsten Punkte zur Erinnerung:
Allgemeine informationen
1. Eine Kreuzotter greift nur an, wenn sie getreten, verletzt, berührt oder in anderer Weise gestört wird.
2. In Estland gibt es Kreuzottern hauptsächlich auf Saaremaa und Hiiumaa und in den Bezirken Virumaa und Läänemaa.
3. Kreuzotterngift ist eine klare, gelbliche Flüssigkeit, die aus Proteinen, Aminosäuren, Mineralien etc. besteht. Die Giftwirkung ist darauf zurückzuführen, dass Polypeptide und Enzyme die roten Blutkörperchen im Blut zerstören und Blutungen verursachen. Die Stärke des Giftanteils ist abhängig vom Zeitraum, der seit dem letzten Jagderfolg der Schlange verstrichen ist. Das Gift ist nicht besonders toxisch, daher wirken sich nur gelegentlich Schlangenbisse fatal aus. In etwa einem Drittel aller Fälle dringt kein Gift in die menschlichen Opfer ein.
4. Die toxische Wirkung beim Menschen tritt spätestens nach 30 Minuten bis zu 4 Stunden nach dem Zeitpunkt des Bisses ein und nimmt danach ab. Die Giftwirkung hängt von der Menge, der allgemeinen Gesundheit des Opfers und der Bissstelle ab. Der Biss ist gefährlicher bei heißem Wetter und wenn sich die Bissstelle im Gesicht, im Nacken oder am Rücken befindet. Am gefährlichsten sind die Fälle, in denen ein Zahn, und damit auch das Gift, ein Blutgefäß trifft.
5. Im Falle eines Bisses kann man zwei kleine punktförmige Einstiche in etwa 0,5 – 1 cm Abstand voneinander sehen; der Biss selbst ist nicht besonders schmerzhaft und erinnert an einen Nadelstich. Innerhalb weniger Minuten nach dem Biss können die Schmerzen zunehmen, binnen zwanzig Minuten kann eine Schwellung entstehen, die Haut kann eine violett-purpurne Farbe annehmen und empfindlich werden. Nach etwa einer Stunde kann es zu Kopfschmerzen, Schwindelgefühl und Übelkeit, manchmal auch Erbrechen kommen. Es können Durchfall, Atemnot und Ohnmachtsgefühle aufkommen, die Haut kann mit kaltem Schweiß bedeckt sein, das Opfer kann unruhig werden und das Bewußtsein verlieren. Die Bissstelle kann rot werden und geschwollen. Die Stelle schmerzt stark. Die Schwellung im Bissbereich dauert bis maximal 48 bis 72 Stunden nach dem Biss an. Blasen können sich bilden. Die Lymphknoten in Bissnähe können sich vergrößern. Während das Gift wirkt, können Funktionsstörungen bei verschiedenen Organen auftreten, z.B. in der Lunge. Nierenschäden können entstehen. Blutungen und Substanzen, die geschädigtes Gewebe freisetzen, können die Blutgerinnung beeinflussen und rote Blutkörperchen zerstören (Hämolyse). Gesicht, Lippen oder Zunge können bei einem Opfer bereits unmittelbar nach dem Biss anschwellen.
6. Das Gift kann, wie fremdes Protein, auch zu einer anaphylaktischen Reaktion führen (Schock, Zuschwellen der Kehle, Bronchospasmus der sich anfühlt wie Luftmangel). Zeichen des Schocks: blasse Haut, blasse bis bläuliche Lippen, kalter Schweiß, Schüttelfrost, Schwächegefühl, Durst, schneller, schwacher Puls, Unruhe, sogar Bewusstlosigkeit.
7. Kinder und alte Leute, deren körperliche Widerstandsfähigkeit geringer ist, zeigen die allgemeinen Symptome des Giftes deutlicher.
Behandlung
8. Das Opfer sollte beruhigt und so schnell wie möglich
in medizinische Behandlung gebracht werden. Zur Beruhigung: in Estland ist seit Menschengedenken keiner mehr an einem Kreuzotternbiss gestorben
http://foorum.maaleht.ee/viewtopic.php?pid=206; in ganz Europa sind nur wenige Todesfälle aus den letzten 10—20 Jahren bekannt, die meisten davon aus Mittelmeerländern (Vipera ammodytes, Sandviper oder Hornotter), oder von Menschen, die besonders sensibel auf das Schlangengift reagieren. Hypersensible Menschen, zum Beispiel solche, die allergisch auf Bienenstiche reagieren, sollten sicherlich besonders vorsichtig sein.
9. Je kleiner das Opfer, desto größer ist der anzunehmende Anteil an Gift im Verhältnis zum Körpergewicht und damit das Risiko schwerer gesundheitlicher Folgen.
10. Um plötzlichen Blutdruckabfall und Kollaps (Bewusstlosigkeit durch den plötzliche Rückgang der Hirndurchblutung) zu vermeiden, sollte das Opfer sich hinlegen. Er oder sie sollte sich nicht bewegen und das vom Biss betroffene Körperteil sollte nicht erhöht gelagert werden, da dies den schnelleren Transport des Giftes durch den Körper begünstigen würde. Das Opfer sollte warm gehalten werden. Auf die Bissstelle kann man eine kühlende Kompresse legen.
11. Falls der Biss am Arm oder Bein ist, kann das Glied mit irgendetwas, was zur Hand ist, geschient werden um die Bewegung der Körperflüssigkeiten und damit des Giftes im Gewebe zu verlangsamen. Ringe und Armreifen sollten vorab entfernt werden. Viele Quellen empfehlen, das Opfer viel trinken zu lassen, ausgenommen Alkohol, um die Ausscheidung des Giftes durch die Nieren und den Magen-Darm-Trakt zu beschleunigen. Viel heißer Kaffee oder Tee wird empfohlen. Nach anderen Empfehlungen habe sich die Wirkung großer Mengen an Getränken nicht bestätigt. Natürlich gibt es Fälle und Zusammenhänge der Umstände, zum Beispiel in Verbindung mit dem allgemeinen Gesundheitszustand des Opfers, bei denen viel Trinken keinen positiven Effekt hat.
Andererseits veröffentlichte die Estnische Gesundheitsbehörde eine Pressemitteilung mit dem Hinweis, dass Gegengiftinjektionen nicht generell indiziert sind, da in einem Drittel aller Fälle von Schlangenbissen überhaupt kein Gift in den Körper des menschlichen Opfers gelangte, dass aber das in Estland erhältliche F(ab)2-Typ-Gegengift bei etwa einem Zehntel der Patienten allergische Reaktionen verursacht. Es gibt keine exakte Indikation für den Einsatz von Gegengift. Relative Indikationen sind Schock, bei dem die Behandlung nicht anspricht oder sich schnell ausbreitende Schwellungen im Gesichts- oder Nackenbereich in Kombination mit Atembeschwerden. Erwachsene Patienten sollten mindestens 6 Stunden, Kinder 24 Stunden im Krankenhaus unter Beobachtung bleiben. Wenn sich in dieser Zeit keine deutlichen Schwellungen oder allgemeine Reaktionen zeigen, kann der Patient entlassen werden. Die Besserung geht in der Regel je schneller voran, desto jünger der Patient ist. Die unter 14-Jährigen erholen sich innerhalb von 1-3 Wochen. Bei zwei Drittel der älteren Patienten halten Schmerzen und Schwellungen mehr als drei Wochen, bei einem Viertel sogar bis zu neun Monate an.
Falsche oder zweifelhafte Gegenmaßnahmen
13. Das Abbinden eines von einer Schlange gebissenen Gliedes mit einem Band, Gürtel, Schnur oder Manschette verhindert die Ausbreitung des Schlangengiftes im Körper nicht; es kann zudem örtlich verletzen oder Gewebeschäden verursachen.
14. Versuche, das Gift mit dem Mund aus der Wunde zu saugen sind sinnlos, weil die kleine Bisswunde sich wegen der Elastizität des Gewebes sofort schließt.
15. Ausschneiden oder Ausbrennen der Bissstelle verletzt Blutgefäße und Nerven, nachfolgende Infektionen können zum Eitern der Wunde führen. Das Gift zirkuliert so schnell durch den Körper, dass es nicht möglich ist, es durch das Entfernen von Gewebe loszuwerden.
16. Einpinseln der Bisswunde mit einer oxidierenden, stark violetten Kaliumpermanganatlösung ist nutzlos, da sie das Gift nicht erreicht.
17. Alkohol als Gegenmittel zu trinken ist sinnlos und zudem gefährlich, da Alkohol die Ausbreitung des Giftes im Körper noch erhöht und es schneller zu den Hirnzellen bringt.
Bisse vermeiden
18. Wenn man sich an Orten bewegt, an denen Begegnungen mit Kreuzottern zu befürchten sind, sollte man festes Schuhwerk tragen, am besten hohe Stiefel. Die Fangzähne der Schlangen können festes Leder oder Gummi nicht durchdringen, sondern nur daran abrutschen bzw. sogar ausbrechen.
Erste Hilfe
19. Angenommen, Se befinden sich an einem abgelegenen Ort, zum Beispiel tief im Wald. Haben Sie ein Mobiltelefon dabei und hat es Netzkontakt? Können Sie beschreiben, wo Sie sind, oder schnell zu einem Platz gelangen, zu dem Sie Ihre Retter hin dirigieren können? Oder wenn Sie zu zweit sind, wie sollen Sie sich verhalten? Man sollte es vorab durchdacht haben und die oben stehenden Informationen in die Überlegung einbeziehen. Zunächst sollten Sie am besten nach etwas Kaltem suchen um es auf die Bisswunde zu tun, z.B. Moos oder Wasser. Die Schwere der Bissfolgen wird in der Regel innerhalb der ersten 10 Minuten deutlich. Das Opfer sollte nicht gehen oder laufen. Das Aufsuchen ärztlicher Beratung ist selbst bei einem nur vermuteten Biss für notwendig zu erachten. Ich habe keine Berichte über Fälle gefunden, in denen ein einzelner Mensch, fernab menschlicher Siedlungen und ohne Handy, von einer Kreuzotter gebissen wurde, und anschließend mit schwerem Schock oder allergischer Reaktion gezwungen gewesen wäre, zu entscheiden, wie er sich zu verhalten habe — die Veränderung des Gesundheitszustandes abzuwarten oder sich umgehend in Richtung möglicher Hilfe zu bewegen?
Es sieht so aus, als ob es im eher kleinen Estland keine derartige Kombination von Umständen gegeben habe — oder weiß jemand Gegenteiliges? In Großbritannien gar es nur 14 Todesfälle infolge Kreuzotternbisses seit 1876,
http://en.wikipedia.org/wiki/Vipera_berus, der letzte war 1975. In Schweden gibt es durchschnittlich 1.300 Kreuzotternbisse im Jahr; in nur 12 % der Fälle war eine Krankenhausbehandlung notwendig.
PS. Der oben stehende Artikel handelt von Kreuzottern unter estnischen Bedingungen. Auch wenn vieles allgemein gültig ist, können Verhalten und andere Charakteristika sich unterscheiden und andere giftige Arten können an anderen Orten vorhanden sein.