Foto: Raul Kask
Übersetzung ins Englische: Liis
vom Englischen ins Deutsche: Leonia
Vögel füttern – notwendige Hilfe oder unerwünschter Eingriff?
Das Winter-Futterhaus für die Vögel und ein Stück an einer Schnur hängender Speck gibt einem eine schöne Gelegenheit, die Beschäftigungen unserer kleinen Nachbarn vom Fenster aus zu beobachten, die Arten kennen zu lernen und ihr Verhalten untereinander zu beobachten. Es ist besser als Fernsehen, und das Fenster vermittelt mehr Wissen als als die Fenster in Eurem Computer. Mit Wasservögeln jedoch liegen die Dinge ein wenig anders.
Das Füttern der Vögel ist ein ausgezeichnetes Hilfsmittel für den Wissenserwerb über Natur, und um Kindern und Jugendlichen einen verantwortungsvollen Umgang mit der Natur beizubringen: wenn sie bereits als Kinder die Namen und das Aussehen der verschiedenen Vögel, ihre Lebensräume und Futtergewohnheiten kennen gelernt haben, sind sie besser darauf vorbereitet, die Bedingungen der Natur zu berücksichtigen, wenn sie erwachsen sein werden und beginnen, wichtige Entscheidungen zu treffen — besser als diejenigen, die nur mit Fernsehen und Computern aufgewachsen sind.
Aber hier reden wir über Situationen, wo die Beziehungen zwischen Mensch und Natur aus dem Gleichgewicht geraten können, bzw. im besonderen, wann das Füttern von Vögeln harmlos ist und wann es zu einer Gefahr für die Vögel wird.
Kleine Wintervögel sollten bei Tagesanbruch gefüttert werden
Wenn wir kleine Wintervögel füttern, und wenn man dabei ein Gefühl für die Natur und ein Gespür für Verantwortung bekommt, muss man auch wissen, dass zu unseren Häusern in bebauten Gegenden nur eine kleine Anzahl von Arten kommt, die hier überwintert: Kohl- und Blaumeise, Sumpfmeise, Kleiber, Gimpel, Grünfink und andere gehören zu den mutigeren. Aber die meisten Singvögel überleben den Winter im Wald. So verhelfen wir nur wenigen Arten zu einem einfacheren Winter, was ihnen einen zahlenmäßigen Vorsprung im Frühjahr ermöglicht, wenn die Brutzeit beginnt. Betrachtet man diejenigen, die ihre Nester draußen bauen, ist das nicht so wichtig, aber für Höhlenbrüter wird es ein Wettbewerb um Nistgelegenheiten: Spechtlöcher sind nur begrenzt vorhanden. Wenn eine zahlreiche Art im Frühjahr — zahlreich wegen der Winterfütterung: Kohlmeise, Blaumeise und Kleiber— die Nisthöhlen besetzt, dann ist das zahlenmäßige Verhältnis zu den waldlebenden Arten — Tannen- und Weidenmeisen — im Frühjahr nicht mehr dasselbe wie im Herbst. Jedoch ist hier die Auswirkung menschlichen Eingreifens eher gering, da die Höhlenbrüter, die in der Nähe der Menschen bleiben, auch Plätze in Laub- und Mischwälder besetzen und die waldlebenden Arten eher Nadelwälder bevorzugen.
Von diesen ist die Haubenmeise der früheste Brüter, während sie bereits auf dem Gelege sitzt, bauen Kohl- und Blaumeise nach an den Nistgelegenheiten. Dennoch sollte jemand, der Vögel in Waldnähe füttert, ein Dutzend oder mehr Nistkästen aushängen, um den Effekt zu vermindern.
Das Winterfutterhaus bietet eine gute Gelegenheit, Raubvögel zu beobachten, die bei uns überwintern und dort jagen: Sperber und Sperlingskauz sind die häufigsten, die die Futtertafeln der Meisen in kleineren Ortschaften und in der Nähe von Parks oder Wäldern besuchen.
Solche nicht sehr häufigen Vögel beobachten zu können ist ein weiteres Vergnügen, dass nur wenige erhalten. Es ist der natürlichste Weg des Naturgeschehens, und wir sollten nicht nach dem falschen Prinzip des "schau, der Sperber hat eine Meise gefangen, wir müssen ihn bestrafen" handeln. Die Gelegenheit, dies gesehen zu haben, sollte man als Ehre betrachten. Die Situation ist eine völlig andere, wenn ein Haustier, zum Beispiel eine Katze, beteiligt ist. Dann hat der Mensch die Verantwortung, dafür zu sorgen, dass unsere Haustiere nicht den Lauf der Natur stören.
Überwinternden Vögeln sollte nur ungesalzenes Futter geboten werden: verschiedene Arten von Getreide, Hanf-, Flachssamen oder Sonnenblumenkerne, Erdnüsse und ähnliches (übrigens: Erdnüsse müssen nicht geröstet oder geschält werden) und an fetthaltigerem Futter ungesalzenes Schmalz, ungesalzene Margarine, Haferflocken in geschmolzenem Pflanzenöl oder Schweinefett (dies kann man zum Beispiel in Plastik- oder Metalltöpfen anbieten, die umgekehrt aufgehängt und mit einem Holzstäbchen fixiert sind) und andere geeignete Dinge. Brot ist nicht zu empfehlen. Salzhaltiges Futter bedingt Durst nach Wasser so dass die Vögel trinken müssen. Und wenn das einzige zur Verfügung stehende Nass Schnee ist, dann verlieren die kleinen Vögel beim Auftauen viel von der Energie, die sie gerade vom Futterplatz geholt haben.
Füttern Sie keine Wasservögel während der Zugzeit
Beim Zufüttern von Wasservögeln sind die Dinge komplizierter. In unseren Breitengraden frieren Binnen- und Küstengewässer zu, jedoch erst, wenn der Herbstzug vorbei ist. Das Signal für die migrierenden Wasservögel ist nicht das Sinken der Temperaturen — das ist kein Problem — sondern die Verminderung des Futterangebotes aufgrund der kühleren Temperaturen. Wenn Menschen während der Herbstzugzeit Wasservögel füttern, vor allem in den Städten und bebauten Gegenden, dann scheint das Futterangebot gesichert und die Vögel werden vom Zug absehen. Und wenn dann die Gewässer gefrieren und die Kälte stärker wird, werden die Vögel in eine riskante Situation gebracht, weil dann die Menschen nicht mehr raus gehen und Futter bringen. Gleichzeitig beginnen die Küstengewässer zuzufrieren, was die Zone des Offenwassers so weit von der Küste entfernt, das Enten und Schwäne, die sich von Pflanzen ernähren, diese tauchend nicht mehr beim Futtersuchen am Gewässergrund erreichen können. Zuerst haben die kleinern Arten Probleme, weil die Schwäne, die zum überwintern hier verlockt wurden, auch in der Lage sind noch ein wenig tiefer an ihr Futter zu kommen und das Futter für die kleineren Arten mit verzehren.
Schwäne und Enten eingeschlossen
Zahlreiche Wasservögel überwintern in Estland und die Anzahl der Arten ist groß — rund zwanzig. Der größere Teil von ihnen sind Tauchenten, die den Winter im offenen Meer zubringen und sich tauchend von Fisch, Muscheln und anderen Köstlichkeiten ernähren, die ihnen behagen. Die Schwimmenten und die Schwäne halten sich an die Küsten, wo sie im Flachwasser und auf den seenahen Wiesen und Feldern Nahrung finden. Wenn keine Menschen mit Futtergaben in den Herbstmonaten (September bis November) eingreifen, bewegen sich die empfindlicheren Vögel Richtung Süden. Die die bleiben, gehen ein Risiko ein und in harten Wintern scheitert ein großer Teil von ihnen. Nur in solchen Fällen ist ergänzende Fütterung gerechtfertigt — um denen zu helfen, die nicht rechtzeitig weggezogen sind — oder noch wichtiger — denen, die durch verantwortungslose Herbstfütterung zum Bleiben veranlasst wurden. Zufütterung in diesen außergewöhnlichen Umständen sollte mit Beratung durch Spezialisten durchgeführt werden, weil Wasservögel Futter benötigen, dass völlig anders ist als das, was die Leute ihnen anbieten. Brot und Kekse sind absolut ungeeignet. Getreide sollte nur eingeschränkt angeboten werden. Offenes Wasser sollte am Futterplatz vorhanden sein und fein gehacktes Gemüse sollte das Menü ergänzen. Darüber hinaus müssen alle Anzeichen von Infektionskrankheiten registriert werden. Sehr schwache Individuen sollten eingefangen und zu Auffangstationen oder in küstennahe Gewässer in der Nähe offener See gebracht werden (üblicherweise die westlichen Küsten). Tote Vögel müssen weggeschafft und die Todesursache ermittelt werden — bisweilen kann es an ungeeigneter Nahrung liegen.
„Brot und Keks-”Enten und Schwäne: durch unwissende Menschen verzogen
Die häufigsten Wasservögel in den Parks, die Stockenten und Höckerschwäne, selbstbewusst und nahezu sich wie Haustiere verhaltend, kommen im Winter häufig in Not. Natürlich entwickeln wir einen Bezug zu den Vögeln durch die Fütterung und es ist ein wichtiger Zugang zu Wissen über die Natur, aber gewisse Grenzen müssen respektiert werden. Die in den Medien weit verbreitete Information darüber, wann und warum Wasservögel nicht gefüttert werden sollen, ist notwendig und — wenn Winterfütterung stattfinden muss — auch, welches die richtige Nahrung für sie ist. Diese Informationen müssen auch an die russisch-sprachigen Medien weitergeleitet werden: Menschen russischer Herkunft sind oft sehr naturverbunden und ihr Interesse an der Natur ist groß, aber Sachinformationen in ihrer Muttersprache gibt es dazu fast keine.
Es ist ebenfalls notwendig darauf hinzuweisen, dass ein Höckerschwan — Estlands größter Vogel — harmlos wirkt, wenn er Nahrung aus der Hand von Menschen nimmt, dass er aber während der Brutzeit sehr aggressiv wird und, weil er durch das Füttern die Angst vor Menschen verloren hat, heftig angreifen kann. Ein Schwan kann den Fingerknochen eines Erwachsenen mit einem einzigen Schnabelhieb zerstören, oder den Arm eines Kindes mit der Kante seiner Schwinge brechen. Ein Schwan mag hilflos am Boden liegen, aber mit Hilfe seiner Flügel kann er sehr schnell laufen. Der Höckerschwan ist der für den Menschen gefährlichste aller estnischen Vögel, er lässt die vorsichtigen Adler und Eulen weit hinter sich. Die Unwissenheit der Menschen über diese Gefahr trägt ebenfalls dazu bei. Eine gründliche Informationsarbeit der Medien zum Thema Fütterung von Wasservögeln ist dringend erforderlich.

Mehr über dieses Thema gibt es in der Schlammmonats-(Oktober)-Ausgabe des Naturmagazins Loodusesõber (auf Estnisch) zu lesen.