Illustration und Text: Tiit Kändler
Übersetzung ins Englische: Liis
Vom Englischen ins Deutsche: Leonia
DEZEMBER: sucht nach Schneeratten unter dem Schnee. - Katze: misst die Schneehöhe
Dezember
Im Dezember kommt der Garten ins Haus. Das Haus wird lebendig, es beginnt über sein Inneres wie über sein Umfeld zu herrschen. Die Fenster sind geschlossen, man schlüpft so schnell wie möglich durch die Hintertür. Kein Wunder, dass das Haus selbstbewusst wird und seine Persönlichkeit zeigt. Irgendwas rastet hier ein, ein leises Knistern dort, darüber scheint wieder jemand wie ein Specht ans Dach zu klopfen. Wo der Specht natürlich nie und nimmer klopfen würde, erst recht nicht jetzt, wenn das Dach mit dem Tragen der Schneelast beschäftigt ist.
Der Specht übrigens — man hämmere sich das ein — lässt sich weder durch Hoch- noch durch Tiefdruck ablenken, er fährt einfach fort, auf die alten Kiefern einzuhacken, dadurch irgendwie das Alter der Bäume unterstreichend, woran zweifellos — unserem Alltagsverständnis nach— einige Äste eingehen werden. Aber wie tot können sie sein, wenn der Specht dort hämmert und hämmert.
Der Specht ist kein Boxer, der seinen Kopf gegen die Fäuste des Gegners hämmert, nur um der Sache selbst willen. Oder ein Fussballer, der keinen besseren Weg findet, seinen Kopf anzuhauen, als gegen den armen gemusterten Ball oder besser noch den rechten Fuß vom linkem Verteidiger der gegnerischen Elf. Der Specht hämmert nicht nur um zu Hämmern, das ist ganz klar. Aber manchmal geschieht Seltsames. Aus dem gewöhnliche fad-grauen Dezembermorgen wird ein sonniger und der offenbart eine unerwartete Vier-Dimensionalität. Drei davon außerhalb von einem, und eine im Inneren. Ein sonniger Dezembermorgen ist eine Reise weit voraus, in den Januar.
Das geht bis hin zu dem wunderbar vielfarbenen Schmetterling, der plötzlich durchs Zimmer flattert. Das ist nun etwas ganz anderes als die freundliche, aber eher langweilige alte Spinne, die jeden Abend — gerade wenn man sich ins Bett hat fallen lassen und das Buch genommen hat — kommt und einem plötzlich auf dem Kopf herumläuft. Der Garten-Werkler mag nicht einsehen, warum die Spinne unbedingt auf seinem Kopf rumlaufen muss, da Spinnen doch sonst auch niemals in die Köpfe reinkommen.
Sogar die Katzendame Ooper ist die Spinne ernstlich leid, obwohl sie üblicherweise sogar Fliegen jagen würde. Aber der Schmetterling fliegt zum Fenster, wo das Wintergesicht der Sonne durch die Glasscheiben schimmert, faltet die Flügel ein und verschwindet aus dem Blickfeld — wie ein Raum, der seine dritte Dimension verliert.
Mathematik in der Tat. Mathematik lässt sich im Winter leichter begreifen. Mathematik ist der Sonntag des Gehirns, der Feiertag der Wissenschaft. Und dahin zu kommen ist nun zur Wintersonnenwende naturgegeben, wenn man nichts sonst zu tun hat, als den Schnee vom Dach zu schaufeln und Feuer zu machen.
Eine der geschmacklosesten Erfindungen der Menschen ist das elektrische Feuer mit künstlich flackernden Flammen — im Namen Edisons! Künstliche Kerzen für den Weihnachtsbaum waren einst eine Sensation in New York; jetzt haben wir uns leider auch an sie gewöhnt. Echtes Feuer — warum sagen wir lebendiges Feuer, wenn es Leben sowohl erhalten als auch zerstören kann; aufflammende, glühende Asche im Kamin, das wechselnde Spiel der über ein Stück Feuerholz kriechenden Flammen — widerspiegelt perfekt das wahre Gesicht unserer zerstückelten sich selbst bespiegelnden Welt. Jugendliches Feuer wird ersetzt durch gezähmt glühende, dörrende Hitze mit gezügelter Wärme.
Im Dezember ist es auch notwendig, ein paar Mal in die Dünen hinaus zu gehen, um sich der Existenz des Meeres zu versichern. Es ist angenehm, diese Sicherheit durch Sehen zu erlangen und nicht direkt. Was immer noch der Weg ist, den die Schwäne bevorzugen, die um die Flussmündung drüben herum schwimmen, und die Gänse oder was auch immer es sein mögen. Wer kann sich die Namen all dieser Vögel, Schmetterlinge und Insekten merken, den Unterschied zwischen Insekt, Vogel und Schmetterling zu kennen sollte ausreichen.
Bereits im Jahr 1880 erkannten 90 % der Stadtkinder Bostons kein Weizenfeld und 75 % wussten nichts über die Jahreszeiten. Sogar diejenigen, die wussten, dass die Milch von den Kühen stammt, hatten Kühe nur im Bilderbuch gesehen und dachten, dass Kühe die gleiche Größe hätten wie Mäuse. Der Garten-Werkler hat einen Freund, der als Kind ein Buch mit alten estnischen Geschichten las, "Üle õue õunapuu – Apfelbaum über dem Hof” und durch die Bilder lange Zeit glaubte, Mäuse trügen Trachtenröcke. Manchmal wird der Dezember hell und freundlich und erfüllt jedermanns Wünsche an eine weiße Weihnacht. Und wenn er noch wohlwollender ist, vervielfältigt er diese Wünsche und steigert sie mit eigener Fähigkeit für gutes Maß.
Dann beginnt ein Stürmen und Mahlen und der Schnee fällt und fällt und fällt. Und fällt, bis einige Wetterfrösche, die eine grüne Weihnacht vorhersagten und nun allmählich vor Ärger schwarz werden, einen weiblichen Namen für das ganze Ereignis einführen. Zum Beispiel Monika. Der Schnee wird höher und höher. Die Wasserratte irgendwo tief unter all dem wird zur Schneeratte und der schwarze Kater Kitikat mit dem schneeweißen Lätzchen unterm Kinn klettert in den Schnee, um die Höhe festzustellen.
Und dann wird plötzlich alles ruhig. Stille, Einsamkeit. Kein fallender Schnee mehr und kein Strom, kein Wasser im Hahn, kein Internet, keine Waschmaschine. Der Garten-Werkler weiß nichts mehr mit sich anzufangen. So abhängig sind wir vom System unserer Maschinen und Lichter und Netze geworden.
Nichts ist mehr zu tun, als hinaus zu gehen. Man geht und plötzlich sieht man einen Mann einen riesigen Baumstumpf bearbeiten, enorm dick und so groß wie er selbst. Es muss wirklich sehr kalt in des Mannes Behausung sein! Der geordnete Haufen Feuerholz im eigenen Hof erscheint in der Vorstellung: alles schön gleichmäßig, von gleicher Länge und Höhe, wie die Palmen an der Elfenbeinküste.
Aber bewahre! Dort an der Elefanten-Stoßzahn-Küste scheinen sich schreckliche Dinge zuzutragen. Und je zuverlässiger die Welt und das Wetter werden, desto schneller schmilzt der Holzstapel.
Im übrigen leben nun zwei Elefantenarten in Afrika, so jedenfalls hat es der Garten-Werkler in einem Wissenschafts-Magazin gelesen. Was also werden diese Wissenschaftler als nächstes dran nehmen? Egal, wie lang dies bereit so war — nun ja, so um drei Millionen Jahre — aber sie mussten es wissen, sie mussten es feststellen und auch in Druck geben und publizieren. Man bedenke — bisher dachten wir alle, dass es nur diese eine Art gebe. Was für eine unsägliche Schande. Was mögen die Elefanten von uns halten.
Auch in Estland gibt es Wissenschaftler. An der Universität für Naturwissenschaften haben sie keine Elefanten erforscht; aber sie haben mit der Herstellung von Wein aus in Estland gewachsenen Trauben begonnen. Und es scheint auch ganz gut gegangen zu sein, auch wenn die Verkoster ihn nicht mit reinem Mondschein verwechselten. Welch eine Export-Möglichkeit! Aber Weh und Ach, die Füchse und Marderhunde haben Wind von der Sache bekommen und alle Beeren gefressen. Saure Trauben sind nicht immer sauer.
Über all diese Überlegungen ist es Silvester geworden. Der Garten-Werkler überlegt, er könne den Garten mit prickelndem Wein behandeln. Und mit Krachern, die Specht und Krähe, Wasserratte und Meise, Eichelhäher und Katze und sogar den eigenartig winselnden Käfer, der plötzlich hinter seinem Ohr landete, allesamt auf dem Rücken landen lassen. Und damit die Garten-Idylle zerstören würde.
Sie derart übel zerstören würde, dass es keine Alternative gäbe, als in die wohl beheizte Sauna zu flüchten. Sauna im Dezember, wenn man stolz von der heißen Schwitzbank in eine Schneewehe tritt, die einem bis zur Brust reicht — es gibt nirgendwo eine bessere Sauna. Es macht nichts, dass die Birkenreiser erst kurz vor dem Fallen der Blätter gebunden wurden, es gibt genug Schnee. Immerhin ist der Mensch kein Fisch, dass er direkt von der Sauna in eiskaltes Wasser hüpfte. Der Platz des Menschen ist in der Schneewehe, dass ist sicher.
Auf der Saunabank dachte der Garten-Werkler plötzlich, dass er vielleicht etwas Gutes für den Garten tun müsse — etwa ein Blumenbeet umgraben, irgendwas, worauf man im Frühling mit Behagen blickte. Aber — egal, nur nicht dran rühren. Besser eine weitere Kelle Wasser auf die heißen Steine schütten und dann hinein in die Schneedecke auf dem Blumenbeet, dass der ganze Garten zischt. Das Beste vom neuen und vom alten für alle!