Bei solchen Gelegenheiten ist ein weiteres Augenpaar nötig und heute ist dem Werkler das Glück hold. So sehr, dass er nicht weiß, ob er sich in diesem anderen Paar Augen eintauchend verlieren soll, oder schauen, was dieses Augenpaar erblickt und zu versuchen, das Spektrum des Lichtes einzufangen, das sich in dem Kiefernwäldchen entfaltet, welches noch nicht einmal den Namen Wäldchen verdient.
Die Strahlen der Sonne fächern sich in Lichtbündel auf, und scheinen sogar den Werkler und seine Liebste tragen zu können, falls sie bereit wären die Reise anzutreten und entlang dieses geneigten Sonnenpfades zum unbekannten Gipfel unserer bekannten Welt hin aufzusteigen.
Und als ob diese Verkörperung der optischen Gesetze nicht genug sei, füllt sich die Luft einige hundert Meter entfernt plötzlich mit schneeweißen kleinen Punkten direkt von oben nach unten fallend, in einem chaotischen, geradewegs erdwärts gerichteten Strom. Es ist Hagel, der direkt vor dem Werkler und seiner Liebsten des ungeordneten Stromes zielsichere Entwicklung eines Hagel-Höllentanzes demonstriert. Die Hagelwolke hat einen scharf konturierten Rand, und sie nähert sich lautlos aber unaufhaltsam, etwa als der Sonnenball die Spitze der stämmigen Kiefer erreicht, um dann dahinter zu verschwinden und auf der anderen Seite wieder zu erscheinen.
Und dann ist sie da, der Hagel fällt ihnen auf die Köpfe in einer erbarmungslosen, aber teilnahmslosen Art und Weise, und ist bald vorüber, fortziehend dorthin wo auf der immergrünen Heide eine zarte Schneeschicht zu sehen ist.
Und man muss hinzufügen, dass, als sie zum Meer und zu den Sanddünen kommen, die ständig stärkeren Bündel der Sonnenstrahlen hin zum grünen, von einigen wenigen grau-gelblichen kleinen Birkendickichten gesprenkelten, die Bucht zur Rechten begrenzenden Kiefernrand der Halbinsel hinüberwechseln, und diesen, zielsicher von links nach rechts wandernd — lautlos, wie hier zweckfrei zu ergänzen ist — in eine Palette solch unerwarteter Farben tauchen, die man vielleicht auf dem Küchenboden eines unterernährten Künstlers jenseits seiner ersten Jugend erwarten könnte, aber niemals von einem ansonsten eher strengen und ordentlichen Ufer einer natürlichen Meeresbucht.
Das Weihnachtsgeschenk wurde empfangen, es ist Zeit, in den Garten zurückzukehren. Er wartet bereits, Meisen als Christbaumschmuck in der Fichte und einen Kleiber bei Tageslicht als Wichtel an einem Kiefernstamm.
13. Dezember
Der Werkler tritt hinaus auf die Veranda und wirft eine Mandarinenschale hinunter in den Garten. Die Mandarine ist für den Werkler ein Zeichen des bevorstehenden Weihnachtsfestes. Selbst wenn Mandarinen nicht anders zu haben wären als in einem Bilderbuch, wäre diese Frucht immer noch mit Weihnachten verbunden.
Die Mandarinenschale taumelt hinunter und sticht heraus. Sie ist unangenehm deutlich zu sehen, dort sogar noch deutlicher, als sie auf dem kleinen runden, mit einem roten Tuch mit kleinen weißen Tupfen bedeckten Tisch zu sehen war.
Daran sieht der Werkler, dass das Wetter in diesem Jahr außergewöhnlich ist. Wäre der Garten schneebedeckt, wie es in den vergangenen Jahren war, hätte man die Mandarinenschale nicht wahrgenommen. Aber nun gibt es keinen Schnee, dort ist nur Gras, die grüne Farbe, die einen eher an den Frühherbst denn an den jungen beginnenden Winter erinnert. Eine Mandarinenschale auf grünem Frühwintergras — ist dies nicht die Apotheose der universellen globalen Erwärmung, denkt sich der Gartenwerkler und geht, das Feuer im Saunaofen anzuzünden.
24. Dezember
Die Dezember-Hitzewelle trifft ein. Der Weihnachtsfrieden ist verkündet. Mit den Worten der Königin Christina, derselben schwedischen Christina, die Axel Oxenstierna regieren ließ, während sie selbst Descartes aus Frankreich einlud und andere ihrer Meinung nach gelehrte Männer, sie zu unterhalten. Descartes hatte gerade das kartesische Koordinatensystem entwickelt, aber es gelang ihm nicht, in Schweden seinen Platz zu finden, er zog sich eine Erkältung zu und ist einfach gestorben. Der Werkler verlässt seinen Garten und geht zu schauen, wie friedlich es auf dem Raekoja-Platz in Tallinn in Zeiten des Weihnachtsfriedens sein mag. Es gab keinen Frieden oder dergleichen. Die Kinder drängelten sich in der Warteschlange vor der Hütte des Weihnachtsmannes, wie einst ihre Großväter zur Nach-Stalin-Zeit in den Zucker-Warteschlangen, in den Hütten werden Dinge verkauft, die keiner braucht, weshalb alle unruhig versuchen, die Dinge zu kaufen und hin und her wuseln.
Aus dem Inneren der Fichte ist jedoch plötzlich das Tschilpen der Spatzen zu hören. Der Werkler mag seinen Ohren nicht trauen und bald mag er seinen Augen ebenso wenig trauen, denn glaube man es oder nicht, ein hübscher Schwarm Sperlinge ist in den Weihnachtsbaum geflogen. In den gleichen Baum, der einmal aufrecht stand, einmal unten lag.*) Im Augenblick aufrecht. Interessant, denkt der Werkler, Spatzen hat man seit langer Zeit nicht in der Stadt gesehen, aber nun ist die ganze Fichte voll von ihnen. Ich muss gehen und schauen, sie mögen auch in die Fichte in meinem Garten geflogen sein. Und geht. Kaum dass er ihnen den Rücken kehrt, flüchtet der Spatzenschwarm und verschwindet im bleigrauen Himmel.
Im Garten ist alles an seinem Platz und es gibt keine Sperlinge, wo auch immer in der Fichte, nur einige Meisen als Verzierung daran.
*) Der große Christbaum auf dem Weihnachtsmarkt von Tallinn wurde in diesem Winter bereits zwei Mal vom Sturm umgerissen, aber danach jeweils wieder aufgerichtet.
27. Dezember
Der Wind versucht, den Werkler aus seinem Garten hinaus zu drücken, ist aber nicht recht erfolgreich. Von irgendwoher wurde Falllaub mit dem Wind in den Garten getragen, vermutlich aus Lettland. Warum gerade Lettland, vermag der Werkler nicht zu sagen, es fühlt sich einfach so an. Es ist warm wie in einem kümmerlichen Sommer, aber es gibt kein Sommer-Gefühl. Denn eigentlich ist es Winter. Aber um die Wahrheit zu sagen, gibt es auch kein Winter-Gefühl. Eine Jahreszeit, die nicht einmal einen Namen hat, hat den Garten erreicht. An einigen Orten wird der unbekannte Soldat geehrt. So lasst uns denn die unbenannte Jahreszeit ehren.
Etwas beginnt herunter zu rieseln, das man weder Regen noch Schnee oder Matsch oder Hagel nennen kann. Eine weitere Sache ohne Namen. Der Name ist verloren gegangen.