Garten-Werklers Jahr

Garten-Werklers Tagebuch. Februar

Illustration und Text: Tiit Kändler
Übersetzung ins Englische: Liis
Vom Englischen ins Deutsche: Leonia
 
Februar: Sprechende Fichten. - "Ich bin dann mal in Ägypten, ich brauche was Ruhe und Sonne." - "RIF!"
 
Es gibt ein finnisches Märchen mit dem reizenden Titel "Sprechende Fichten". Als ein Jäger unter einer Fichte im Wald sein Feuer anzündete, beunruhigte die Hitze eine Schlange in der Baumkrone und sie bat ihn, ihr herunter zu helfen. Nachdem der Jäger dies getan hatte, dankte ihm die Schlange und lehrte ihn die Sprache der Tiere. In Märchen kommt dies häufig vor. Aber außer der Tiersprache brachte die Schlange dem Jäger noch die Sprache der Pflanzen bei. Was ausgesprochen beneidenswert war. Tiere geben Töne von sich und bewegen sich, und ihre Sprache und Körpersprache ist immerhin mehr oder weniger gut erlernbar. Das kann jeder Tierliebhaber bestätigen. Mit Pflanzen ist es komplizierter. Sie geben Töne von sich, aber eher durch den Wind oder die Schwerkraft. Ja, und sie bewegen sich, aber dazu benötigen sie die Energie der Sonne, und den Wind und Regen, Schnee und Hagel, der daraus entsteht.
Die Erzählung von den sprechenden Fichten geht damit weiter, dass der Mann sich unter den Fichten zu Schlaf niederlegt und eine Fichte der anderen zuraunen hört, dass sie in dieser Nacht umfallen und sterben werde, und die andere bat, ihr zu helfen. Die andere Fichte lehnte dies ab, da sie schlafende Gäste unter sich liegen habe – den Hund und den Jäger. Und dann fuhr ein Windstoß durch den Wald und die Fichte, die ihren Tod voraus gesagt hatte, stürzte mit großem Getöse nieder. Und die Fichte mit dem Feuer des Jägers zu ihren Fußen seufzte: "So bist Du nun gefallen, mein Bruder im Werden! Auf einem Schatz hast Du gelebt, aber auf einem Schatz bist Du auch gestorben." Am Morgen begann der Mann die umgestürzte Fichte zu untersuchen und fand unter ihren Wurzeln eine grün angelaufene Kupferschatulle, die gefüllt war mit goldenen und silbernen Münzen.
Der Februar ist ein Monat, der wie für das Nachdenken über die Sprache der Gartenpflanzen geschaffen ist. Die Fichten halten still inne wie in keinem anderen Monat. Die Luft ist rein und klar, auch wenn die Sonne irgendwo in der Welt hinter den Wolken mit sich selbst beschäftigt ist. Die Laubbäume, die derzeit eher kahl knöcherne Bäume sind, geben gar keine Vorstellung über ihre Sprache, mit Ausnahme der Weiden, die ihre Kätzchen mit verrückter Planmäßigkeit öffnen. Doch die Fichten reden irgendwo tief innerlich über das Wasser unter ihren Wurzeln, die Kiefern erinnern sich mit Schrecken an die Tage, an denen schwere Schneelasten ihre Zweige bedrohten. Beiden Genossen hat der Winter die Nadeln grau werden lassen, und doch ist es das einzige Grünzeug, dass das Auge findet.
Mit Ausnahme des Buntspechts, der wieder im Garten aufgetaucht ist und in dessen Gefieder man auch mit gutem Willen etwas Grün ausmachen könnte. Es hat sich herausgestellt, dass das Gefieder der Vögel sich nicht entwickelte, um zum Fliegen genutzt zu werden, sondern vor Urzeiten beim Vorvater der Spechte, dem Dinosaurier, lange bevor der sich in den Kopf setzte, sich in die Luft zu erheben. Warum in aller Welt – wer weiß. Sogar die Wissenschaftler, die so klug zu sein glauben, meinen, es sei der Eitelkeit geschuldet gewesen. Ganz so wie die Männer heutzutage großtun und den Frauen ihren Mercedes vorführen, so stellte der Dinosaurier seine Federn zur Schau.
Die Bäume reden und reißen und krachen in der Kälte, in der die Vögel dennoch weiter herumfliegen. Deren Piloten streiken nie. Einige Vögel sind Transportflieger und ziehen eine gerade Route vom Futterhäuschen zum nächstgelegenen Fichtenzweig. Andere hingegen – wie Blau- und Haubenmeise – sind Bogenflieger, die ihren Luftweg als saubere Wellenlinie ziehen.
Der Februar-Mond hat sich selbst, obwohl noch nicht ganz voll, schon fast gedreht, als wenn er voll wäre.  Hunde jaulen in der Kälte und der Schnee tut seine Pflicht als Thermometer – das Geräusch unter den Füßen zeigt einem, wie kalt es ist.
Am Vollmond-Freitag Mitte Februar konnte man lesen, dass die Sonneneruptionen heftiger geworden seien. Die Röntgenstrahlen der Sonne erreichen den Garten innerhalb von 8 Minuten, die Sonnenwinde benötigen 4 Tage, um ihre Elektronen und Protonen in den Garten zu schicken. Wenn man die Sonnenelektronen in eine Leitung zwängen könnte, würde man keinen weiteren Strom kaufen müssen. Nachdenkenswert. Bis dahin muss man mit Scheitholz heizen, aber bisweilen scheint es so, als wenn es, je mehr Feuerholz man verheizt, desto kälter werde. Zumindest im Hof. Und dann ist da noch die Merkwürdigkeit, das man einerseits meint, das Anhäufen von Fichten- und Kiefern-, Birken- und Eschen-Kloben im Kamin sei eine grüne und ökologische Angelegenheit. Aber andererseits kann man lesen, dass das Verbrennen von Holz Feinstaub in die Luft bläst und erschreckender Weise der Buntspecht dies zum Beispiel einatmen könne, er könne Krebs kriegen und was sonst nicht alles. Wer weiß denn, wer da wen verschlingt, der Buntspecht den Krebs oder der Krebs den Buntspecht.
Wenn die Zapfen an der Spitze der Fichte beginnen, die Sonne zu reflektieren, dann ist der Frühling nicht mehr weit, das ist eindeutig. Die Wissenschaftler haben ihre Gehirne zermartert und herausgefunden, dass das Hirn niemals ruht. Sogar wenn der Mensch schläft, ist das Gehirn damit beschäftigt, Bezüge nur für sich allein zu erdenken und zu speichern; das kann man mit mathematischen Berechnungen vergleichen. Das Gehirn auf Stand-by oder Ruhezustand benötigt nur geringfügig weniger Energie, als es brauchte, dem Gartenwerkler zu helfen, ein Stammstück zu treffen um es zu spalten. Im Ruhen des Gehirns liegt die Kraft und Stärke, die man benötigt, um für jeden vorstellbaren Augenblick gewappnet zu sein. Es wäre auch ernstlich nicht besonders toll, wenn man zum Beispiel zur Vorbereitung dieses Vorgangs ähnlich lange brauchte, wie eine internationale Organisation benötigt, um im Kriegsfall einzugreifen. 
Daher muss das Gehirn immer in Alarmbereitschaft sein und der Anteil an dieser dunklen Energie ist ungefähr so groß wie der Anteil an dunkler Energie im Universum im Verhältnis zu dem uns bekannten Energieanteil. Jeweils dreiviertel dunkle Energie zu einem Viertel bekannter Energie. Interessant ist, dass es mit der Menschheit ähnlich ist. Ein Viertel ist nach ihrem Urteil großartig und klug und reich, drei Viertel sind so etwas wie eine dunkle Kraft. 
Ebenso ist es mit dem Februargarten. An der Oberfläche erzählt er nichts, aber der Stand-by-Modus, die Stille des Gartens ist trügerisch. Irgendwo da unten in der Tiefe keimt Leben und und dort spielt sich mindestens drei Viertel von dem, was unsere Augen sehen und unsere Ohren hören können ab.
Während die Pflanzen sich bescheiden, ergibt sich die Frage, warum ausgerechnet der Februar so kurz ist, der kürzeste Monat. Der Mai beispielsweise hat einen viel kürzeren Namen. Untersuchungen der Sache brachten auf, das wir dies dem heidnischen Fest des Numa verdanken, dem König, der auf Romulus folgte. Unsere Kalendergeschichte ist lang und umfassend, aber kurz gesagt ist es so, dass Romulus klüger war als wir. Er hat nicht nur Rom begründet, sondern auch den Kalender. Und natürlich gab es damals zehn Monate im Jahr. Warum sonst heißt der letzte Monat Dezember bzw. der Zehnte? Das Jahr begann im März, September war der siebte, Oktober der achte und November der neunte Monat. Numa kam und die Verwirrung begann. Er versuchte, den Kalender mit den Mondphasen zu verknüpfen und ergänzte Januar und Februar. Der Teufel weiß, warum am Jahresanfang. Und in den Februar fügt er das heidnische Reinigungsfest ein und verfügte, dass die Länge des Monats 28 Tage umfasse. Um dieses Durcheinander mit dem Sonnenjahr in Übereinstimmung zu bringen, musste Julius Cäsar die übrigen 10 Tage auf die Monate aufteilen. Aber davon gab es 12. Die Länge des Februars konnte zum Glück so bleiben wegen des heidnischen Festes. Dann kam Marc Antonius und taufte den Quintilis Juli, worauf hin Octavian oder Kaiser Augustus alle Menschen schätzen ließ und zählen, weshalb Josef nach Bethlehem gehen musste und sein Weib Maria den Jesus gerade dort zur Welt brachte. Von da an wurde der Sextil zum August und erhielt einen Tag zugegeben, aber nicht einmal der Heilige Gregor wagte es, den heidnischen Februar anzutasten, als er seinen Kalender einrichtete. 
Was uns natürlich jetzt nur glücklich macht, denn der kälteste Monat ist gleichzeitig der kürzeste. Und nach dem Unabhängigkeitstag Estlands sind es ein gutes paar Tage weniger bis zum Frühling, als sie es ohne das heidnische römische Fest wären. 
Sei es so oder anders, aber nach dieser Geschichte sprang plötzlich ein Eichhörnchen am Stamm der einige zweihundert Jahre alten, sich vor das Fenster schmiegenden Kiefer, verscheuchte dort den Kleiber und winkte obendrein noch mit seinem unbeschreiblich gefärbten Schwanz.
 
In der finnischen Geschichte der sprechenden Fichten fand der Jäger nicht nur einen Schatz unter der Fichte, sondern außerdem noch einen Fuchs, der durch einen Fichtenzweig aufgespießt worden war. Und so fand der Jäger gleichzeitig Reichtum und Jagdbeute in einem Aufwasch. Was einmal mehr zeigt, dass das praktische finn-ugrische Denken sich nicht nur auf einige abstrakte und schwankende Werte oder einen nominellen Jahreskreis beschränkt. Fuchspelz kann man sich immer um den Hals legen und die Welt und das Wetter wird sofort wärmer.


 

EST EN DE ES RU  FORUM

       

Nachrichtenarchive