Dritte Juli-Woche: Gewitter am Busen der Sonne

Text: Kristel Vilbaste
Fotos: Arne Ader

Singschwan-Familie am heimatlichen Ufer
 
Der Wachtelkönig ist hektisch, er schnarrt selbstvergessen auf der anderen Seite des Teiches. Ist es die Midlife-Krise oder hat der mähende Traktor seine Kücken in die Unendlichkeit befördert?
 
Die vier Wetter-Zeichen dieser Woche:
Der flatternde Flug des Schwalbenschwanzfalters,
der grenzenlose Flug der Mauersegler,
die Gelbfärbung des Roggens,
Gewitterperioden.
 
Das Gewitter hat draußen eine kurzzeitige Abkühlung zurückgelassen; die gesamte Natur friert bei 20 Grad Wärme. Aber die strahlende Sonne gießt wieder tropische Hitze durch ein Loch in den Wolken und über den Blumen beginnt der Tanz der Schmetterlinge von neuem. Ich kann mich nicht an eine ähnlich leuchtende Schmetterlingsbelebtheit seit langem erinnern. Wiesenvögelchen, Schillerfalter, Dickkopffalter, Bläulinge und auch ein paar Nacht-Schönheiten dazwischen im Schatten der Blätter. Und dann vor unserem zeitweiligen Zuhause, im Blumenbeet, auf dem bezaubenden violett-leuchtenden Lavendel flattert ein Schwalbenschwanz mit seinen frisch entfalteten enormen Flügeln – eine echte Schönheit hier im Norden. Ruhig und elegant landet er auf einem Stängel, schließt seine Flügel, streckt seinen langen, eingerollten „Elefantenrüssel“ zum Nektargrund aus und saugt mit Vergnügen, langsam und ruhig . . . bis ein Sperling, der diesen aussergewöhnlichen Bissen entdeckt, ihn aufschreckt. Aber diese gelb-schwarz gefleckte Schönheit ist auch ein kompetenter Flugvirtuose.
 
Es gibt viele Beerenpflücker im Garten: Nebelkrähen im Kirschbaum
 
Himbeerernte!
Die vom Gewitter übrigen Pfützen verschwinden wie von Zauberhand, die kleine Menge an erfrischendem Wasser war gar nicht genug für alles. In Kütiorg gab es nicht einen Regentropfen, deshalb eilen wir mit Gießkannen von Pflanze zu Pflanze. Jedoch reifen die roten Johannisbeeren wie von allein und die gesamte Drossel-Bande hat darauf ein wachsames Auge, sobald die lästigen Menschen den Garten verlassen, damit auch das kleinste Loch im Netz gefunden werden kann. Und die Drosseln, die sich dort verfangen, sind kräftig und wohlgenährt, was festgehalten werden sollte, während ich den nächsten protestierenden Grauschopf aus dem Netz heraus hole. Die schwarzen Johannisbeeren und die Himbeeren sind ebenfalls reif, die Kirschen gehen dem Ende zu. Äpfel haben ein rotes Bäckchen und die Pflaumen werden dicker. Es wird ein gutes Schwarzapfelbeeren-Jahr werden. Die letzten Erdbeeren sind besonders süß.
 
Die Erntezeit rückt heran.
Die herbstlichen Kerzen der schmalblättrigen Weidenröschen sind bereits zur Hälfte verwelkt, jetzt blühen die mittleren Blüten, es gibt noch keine weißen Samenbüschel. Aber wollige Samen von Habichtskraut und Disteln fliegen bereits herum. Die Sauerampfern sind bereits frühherbstlich braun. Die violetten Oregano-Felder rufen danach, als Wurstgewürz geerntet zu werden. Die Kronen der Haselnussbüsche sind voller kleiner Nuss-Köpfchen, auch das Grün der Eichen verspricht eine gute Eichelernte. Die Kleefelder werden langsam braun, die Maisfelder gelb. Der Roggen ist an manchen Stellen so voller blauer Kornblumen, dass er aus der Ferne wie ein Flachsfeld aussieht. Falsche Kamille ist im Getreide ebenfalls hoch aufgeschossen, auf einer Pflanze mögen wohl hunderte von „Gänseblümchen“ blühen.
 
Ein Schwalbenschwanz legt seine Eier auf einer Holunderblüte ab
 
Pfifferlingskartierung
Die Pilzsaison hat jetzt richtig begonnen, die ersten Speitäublinge kommen heraus, ich habe ein sehr kleines Pilzkäppchen gesehen. Den alten Pfifferlings-Hang in Kütiorg bei Ilmamäe haben wir nach einigem Herumkriechen im Gesträuch auch gefunden und jetzt elektronisch für zukünftige Generationen festgehalten. Die erste Pfanne köstlich gebratener Pilze ließ einem das Wasser im Munde zusammenlaufen. Der Pilzstandort war jedoch bereits von Wildschweinen durchwühlt worden und es schienen erstaunlich viele von ihnen nach diesem harten, schneereichen Winter gewesen zu sein; tiefe Spuren im Heu zogen sich alle hin in Richtung auf unsere „Kartoffel-Scheuche“. In Kambja sah ich mittags ein Reh glücklich in einem Gemüsegarten mitten im Ort am Kohl knabbern. Enn Vilbaste, der die Pfade der Tiere gut kennt, sagt, dass er in diesem Jahr noch kein Rehkitz gesehen habe, jedoch dafür viele herumstreunende Luchse. Aber gleichzeitig  hoppeln mehr Kaninchen als im vergangenen Jahr fröhlich am frühen Abend auf den Straßen herum.
 
Starenorchester
Kraniche sammeln sich nach und nach zu Scharen, hier und dort kann man ihren Trompetenchor hören. Der Staren-Kindergarten treibt sich auf den Feldern herum, und wenn sie am Abend in die Baumkronen einfliegen, dann gibt es in den Baumwipfeln ein Geschnatter wie in einem Papageienwald. Nachts kann man die ersten Ziegenmelker mit orangeleuchtenden Augen auf den Straßen sehen. Der Zilpzalp singt wieder, der Pirol quengelt mehr nach Regen als dass er flötet. Vielleicht macht ihn auch die Trockenheit in Võrumaa verrückt. Die Storchenjungen genießen die Unmenge an Fröschen, auch gibt es in diesem Jahr genug Mäuse, und die kleinen weißen Federbällchen aus den Horsten sind jetzt bereits voll ausgewachsen und beginnen bald mit ihren ersten Ausflügen.
 
Schmalblättriges Weidenröschen
  
Blumengeschichte: Wildrosen(-Zucht)ruten *)
Weil die Feinde eine Dornenkrone für das Haupt Christi aus den Ruten der Wildrose gemacht hatten, ist die Wildrose so schön und hat auch köstliche Früchte. Früher hatte sie weder Blüten noch Früchte, nur die spitzen Dornen. Weil sie der Kranz unseres Heilands war, belohnte man sie mit ihrer Schönheit.
 
*) Im Estnischen ein nicht übersetzbares Wortspiel mit Anspielung auf die häufig (bei der drakonisch harten und oft auch tödlichen Bestrafung von Leibeigenen) für Stockhiebe verwendeten Ruten der Wildrosen.
 
 
Zitat:
Wenn der Körper voller Beulen und Blasen ist, dann koche man Kratzdisteln und reibe sich damit ein und die Beulen werden verschwinden.
 
    
Übersetzung: Liis und Leonia


 

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