Garten-Werklers Tagebuch — August

Geschrieben und illustriert von: Tiit Kändler
Übersetzung ins Englische: Liis
Vom Englischen ins Deutsche: Leonia
 

August: Äpfel fallen vom Mond
 
Für den Garten beginnt der Augusttag in der Nacht. In der dunklen und schummrigen Nacht fallen einem in der Monatsmitte Sterne auf den Kopf, just wenn der Mond voll geworden ist. Der mit seinen beflügelten Sandalen über den Himmel eilende Perseus schlug das abscheuliche Haupt der Gorgo Medusa ab, und die Perseiden fallen nur über unseren Häuptern, aber kommen niemals im Garten an, fallen immer nur vorbei, um wiederzukehren und im nächsten Jahr wieder zu fallen.
Ein Feuer zu entfachen um den Garten in der Nacht zu erleuchten ist jetzt die rechte Zeit – eine viel vernünftigere Idee, als in der Mittsommernacht, wenn es ohnehin hell ist. Beim Feuer ist es genauso wie beim Radfahren – den Wind hat man immer von vorn, und die Straße geht stets hügelan. Beim Feuer ebenso – der Wind dreht sich immer in eine unpassende Richtung, egal wie passend er war zum Zeitpunkt des Entzündens des Feuers blies, oder er beginnt sogar sich zu drehen, so dass der Rauch des Feuers garantiert in den Nachbargarten getrieben wird.
Die Feuerhüter selbst müssen jedoch die Tatsache akzeptieren, dass alle Zweige und Stecken und Halme, die verbrannt werden müssen und die sorgfältig den Sommer über getrocknet wurden, gerade zu dem Zeitpunkt des Feuermachens so nass wurden, dass sie sich mehr durch atemraubenden Qualm als durch ein den Körper wärmendes Feuer auszeichnen.
Aber der Garten-Werkler verliert nie den Kopf, er spült nur seine Augen im Wassereimer, der für alle möglichen Zwecke zur Feuerstelle gebracht worden war, und versucht, das Feuer anzufachen. Was auf eine wundersame Weise gelingt.
Die Fichten beobachten die Flamme ruhig aber aufmerksam, und am Morgen kann man sehen, dass die Birke in der hintersten Ecke leicht gelb geworden ist, dass die Fichten die Grasbüschel mit einem Zapfenbombardement flach gelegt haben, und die Kiefern mit einem Schauer an Zapfen geantwortet haben, der sogar die Perseiden in den Schatten stellt. Was Ursache und was Wirkung ist, dies zu untersuchen hat der Gartenwerkler keine Zeit.
Weil er zwischen dem heimlich groß gewachsenen Gänsefuß und Giersch rote Beeren an Büschen erspät. Und in der Tat – wenn nur der Wall des Grases gemäht würde, würde man feststellen, dass die Johannisbeeren, seien sie rot oder schwarz, ihre Beeren mit hartnäckiger Ausdauer wie in früheren Jahren anbieten. Der Gartenwerkler fühlt, dass sie sehr zufrieden sind – keiner hat ihren gerechten Frieden mit Frühjahrs-Zweigschnitt oder Dünger ausbringen oder gar mit sommerlichem Jäten gestört. Ein freiwachsender Beerenbusch muss doch eine conditio sine qua non eines freien Landes werden! Wir reden über Menschenrechte, aber nehmen still zur Kenntnis, dass sie immer schwieriger, falls nicht gar unmöglich in irgendeinem Hinterwäldler-Garten zu erzielen sind. Und aus diesem Grund ist die Inbrunst auf die Rechte der Tiere übergegangen, da es wunderbar einfach ist, die Rechte der Tiere zu vertreten – denn was kann man über die Tiere überhaupt wissen, und die Rechte, die sie benötigen. Aber es ist glasklar, dass die Zukunft der Rechtssucher den Anwälten der Pflanzenrechte gehört. Jede Pflanze hat das Recht zu wachsen wie sie mag, zu sorgen und die Anstrengungen dazu zu unternehmen, und kein Gartenwerkler sollte kommen und sie dabei stören!
Und tatsächlich – der Gartenwerkler sieht Ende August, dass die Pflanzen bereits Gebrauch von ihren Rechten machten. Wo er im Frühjahr alle möglichen Sorten Kräuter und Blumen in die Beete gesät, gepflanzt und gesetzt hat, sind nun nur noch zwei zuverlässige Blüher tätig – Phlox und Ringelblume. Genau wie jedes Jahr. Der Gartenwerkler stellt auch fest, dass die Birken im Garten – und nicht nur im Garten sonder auch die alten Birkenfreunde im Wald – in diesem Jahr in einer eindeutig originellen Weise gelb werden. In einem Jahr erst die eine, dann die andere Birke, im anderen Jahr genau anders herum. Daraus kann der Gartenwerkler nur den einen Schluss ziehen – Bäume sind keine unsensiblen unbelebten Objekte, aber mit Geist beseelte Wesen, die empfindsam ihre Umgebung beobachten und kokett mit ihrem Aussehen herumspielen.
Die Möwen scheinen dem zuzustimmen, wenn sie abends in immer größeren Scharen in Richtung Meer fliegen, die letzten Strahlen der Augustabendsonne mit ihren silbrigweißen Körpern reflektierend. Nun ja, aber die Möwen fliegen mit den Wolken und die Augustwolken über einem estnischen Garten sind so gemächlich ziehend wie sonst nirgends, aber gleichzeitig so vielgestaltig und -farbig wie nur möglich. Eine scheint Licht auszustrahlen, eine andere daneben – die pferdekopfförmige, dunkel und bedrohlich wie das rußversengte Gesicht Moses. Eine dritte verschmitzt rot und dort, weit weg schimmert etwas gelblich ... die nukleare pilzförmige Wolke wurde wahrscheinlich im August erfunden, weil gerade jetzt die Pilze aus irgendeiner geheimen unterirdischen Tiefe herauf zu treiben beginnen bis in den Garten. Ein Pilz ist natürlich weder Vogel noch Tier, Blume oder Blumenkohl. Man muss gehen und sie selbst aus dem Wald holen und man wird entdecken, dass sie einen meistens austricksen, weil sie eine Vereinbarung mit der Pilzmücke haben, dank derer ihre Körper, wie üppig sie aus sein mögen, gleich alle im Wald gelassen werden. Bisweilen bleibt der Pilzkorb sogar leer, daher plant der Gartenwerkler, zukünftig in einen Wald mit entsprechend vielen Ton- oder Spielzeug-Pilzen auf dem Boden zu gehen, so dass es nicht so blamabel wäre, mit einem leeren Korb aus dem Wald zu kommen.
Aber Pilz ist Pilz, sei es eine Alge oder ein Tier, ein es oder eine sie/ein er, letztlich ist es immer noch das einzige Wesen, das pilzlich ist.
Wenn die Geschichte wahr ist, dass ein Apfel auf den Kopf von Sir Isaac Newton fiel, dann geschah dies sicherlich im August, daran gibt es keine Zweifel. Der Kaiser Augustus, der dem Monat seinen Namen gab, sollte stolz sein, dass er unwissentlich half, die Schwerkraft zu entdecken.


 

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