Vierte September-Woche: Donnergrollen zum Herbstbeginn

Text: Kristel Vilbaste, loodusenaine@hot.ee
Fotos: Arne Ader
 
September an den Flusswiesen des Suitsuflusses. Matsalu
 
Trahah! Trahah! Der Herbst zog am Freitag, den 23. September, um 0.04 Uhr mit dem Getöse von Hagelgetrommel ein. Er wusch die Straßen der Stadt mit Strömen von Regen sauber, scheuerte die Dächer von Bauernhäusern glänzend. Spannte einen siebenfarbigen Regenbogen von der Spitze der Fichte zur Eiche zu Ehren dieses besonderen Tages. 
 
Die vier Wetterzeichen dieser Woche:
Zug der Gänse,
Blühender Reiherschnabel,
Ströme von Regen
und donnergrollender Herbst
 
Tageswärme und abendliche Brise aus Norden hielten sich in der vergangenen Woche. Die Zeit sommerlicher Grillabende ist für dieses Jahr endgültig vorbei, wer dennoch trotzig versucht, diese traurige Herbsttatsache zu ignorieren, bekommt vom Alten Wettermacher einen kalten Regenschauer in den Nacken. Tatsächlich ist bislang in diesem Herbst ein ordentlicher diesiger Pilzregen noch nicht gefallen, wenn es denn regnete, dann goss es aus Eimern, untermalt mit Donnergrollen oder sogar mit Kristallgeschossen gleichenden großen Hagelkörnern. Die Wärmestrahlen, die die Herbstsonne gnädig zwischen den Regenschauern aussendet, werden in einem Augenblick von einem kalten Herbstwind aus entfernten nördlichen Meereströmungen weggeblasen. Die Strömung trägt auch Gänsescharen und trillernde Lerchen aus den Tundren herbei. Die ersten bleiben hier, um Kräfte zu sammeln, andere ziehen in Windeseile gegen Süden. Das Vordringen des Winters wird durch die "klip"-rufenden Schwärme der Fichtenkreuzschnäbel bestätigt und durch das Gezwitscher der Wintergoldhähnchen in den Kronen der Kiefern; im Norden ist das Futter zu Ende. Mit der kalten Brise krabbeln Insekten nur noch tiefer in die Rindenritzen, diese Botschaft wird von der Kohlmeise an unser Fenster geklopft. Aber ich werde die Winterschwarten für Euch kleine Freunde jetzt noch nicht herausholen. Es ist noch zu früh!
 
Ziehende Gänse. Nonnengänse rasten auf einer Uferwiese
 
Alle gemeinsam
Der Herbst hat die deutlichsten Spuren auf den Gesichtern und im Treiben des Vogelvolks hinterlassen. Die Vögel haben sich zu Schwärmen zusammengeschlossen. Einzelgänger sind diejenigen, die vom Schwarm zurückgelassen wurden, müde Anschlussverlierer. Die riesigen Starenschwärme sind fast alle buntfleckig, die Drosselschwärme eilen von Vogelbeere zu Vogelbeere. Auf den Straßen gibt es enorme Schwärme von Buchfinken, die Kernbeißer kommen nicht länger einzeln die Mirabellpflaumen anzuzapfen, sondern stets in Gesellschaft. Die Störche und Kraniche haben sich vor allem ins westlichste Estland zurückgezogen, Weißstörche sind gar nicht mehr zu sehen. Von der Mustvee Bibliothek kam eine Nachricht von Laidi, dass die Schwäne auf dem Peipussee angekommen sind – die kalte Jahreszeit beginnt.
 
Frostbringende Gänse
Bereits seit einer Woche ist der Himmel Estlands mit Winkeln und Geschnatter am Morgen überzogen, am Himmel ziehen unzählbare Gänseschwärme. Gänseforscher Aivar Leito erzählt: „Die ersten größeren Blässgänse- und Saatgänsescharen aus dem Norden Russlands kommen in der Regel Anfang September, die Saatgänse gewöhnlich vor den Blässgänsen. Der zahlenmäßig stärkere Zug findet je nach Wetter (erste Fröste und geeignetes Zugwetter) beginnend ab Mitte September statt. Der Hauptzug erfolgt in mehreren Wellen von Ende September bis Ende Oktober. Das gleiche gilt für Nonnengänse, die sich meist in Küstengebieten sammeln, aber in den letzten Jahren wurden auch weit im Landesinneren Tausende von Nonnengänsen beobachtet. Wie erfolgreich ihre Brutsaison war, wird erst deutlich, wenn die Jungvögel in den ziehenden Schwärmen erfolgreich gezählt wurden, damit jetzt zu beginnen, ist in diesem Jahr nicht verkehrt.“ Dieses Jahr ist ein offizielles Gänse-Beobachtungsjahr, Beobachtungsdaten über sie sind erwünscht. Die Daten können in die Biodiversitäts-Datenbank eingegeben werden: 
oder per Mail an den Koordinator der Erhebung, Aivar Leito, aivar.leito@emu.ee
 
Purgier-Kreuzdorn [Rhamnus kathartica]
 
Roter Herbst
Letzte Woche kämpften die Bauern noch so gut sie konnten. Die Felder sind meist gepflügt, die Kartoffeln geerntet. Waldhüter Vello Keppart schreibt, das die sprießende Getreidesaat bereits ein drittes Blatt hat. Und tatsächlich, die Roggenkeimlinge sind schön groß und die Keimung gleichmäßig. Schnee scheint in brauchbarer Menge zu kommen, im letzten Jahr gab es zur selben Zeit deutlich mehr Eicheln; damals schrieb ich, dass es in dem Jahr so viele Eicheln gebe, dass es schwierig sei, zum Auflesen unter eine Eiche zu gelangen, weil man bei jedem Schritt zehn von ihnen zertrete. Die nächtliche Kälte hat die Natur recht vielfarbig gemacht, es gibt erstaunlich viele Rottöne in diesem Herbst. Verhältnismäßig früh begannen die  „zeitlich verwirrten“ Frühjahrs- und Sommerblumen zu blühen, das geschieht in der Regel erst im November oder Dezember. Aber Naturbeobachter haben bereits Buschwindröschen bemerkt, unser Rasen ist dicht mit winzigen violetten Reiherschnäbeln und gelbem Löwenzahn übersät.
 
Neue Pilzschwemme
Die große Pilzschwemme ist mittlerweile beendet, die Menschen waren letztlich müde, sie körbeweise nach Hause zu bringen. Aber in den ersten Herbsttagen wurde ich in Tammetsööri durch ganz frische neue Pfifferlinge mit ihren goldfarbenen Hütchen glücklich gemacht; ihr Gelbgold war nicht einen Schimmer anders als das der Münzen, die als Gabe auf Opfersteinen dargeboten werden. Nur schade, dass jemandes opferwillige Hände auch einen noch nicht ausgewachsenen Riesenbovist auf den Opfertisch gehoben hatten. Die herbstliche Pilzgesellschaft wird jedoch vor allem durch die Birkenpilze ausgezeichnet, überall gibt es braunhütige Birkenpilze und rosabärtige Birkenreizker. Aber die Hirschlausfliegen, die vor zwei Wochen schlüpften, überraschen immer noch die Pilzsucher mit juckreizfördernden Attacken. Schlangen haben sich bereits in ihre Höhlen zurückgezogen und die Eidechsen kriechen nicht mehr länger unter Steinen hervor. Aber Kröten sind immer noch unterwegs, manchmal mitten in der städtischen Natur. „Gerade in der Mitte Tallinns traf ich im Schutz der Nacht auf ein zitterndes kleines Blatt ...  und beim Näherkommen ... wurde es zu einem hüpfenden Grasfrosch,“ wie Freundin Illika beschreibt.
 
Der Erdstern im Moos-Teppich ist einer der interessantesten Bauchpilze neben dem Bovist
 
Blumengeschichte:
Einhergehend mit den Kranichschwärmen wenn sie abfliegen, oder, aber seltener, wenn sie eintreffen, amüsierten sich die Kinder damit, ihre Winkelformation zu stören und umzuordnen. Dies geschah folgendermaßen: um sie zu verwirren, winkten sie mit Händen oder Schals den Kranichschwärmen zu und riefen „Mische Brei, mische Brei!“ oder „Essu-vassu, Kraniche von der Straße!“ Die Kraniche begannen dann, im Schwarm die Plätze zu tauschen. Um den Schwarm wieder zu einem Winkel zu formen, riefen sie: „Zieht, zieht, liebe Kraniche, über Wälder, Felder! Vater vorn, Mutter hinten, die Jungen in der Mitte!“ (Teele, teele, kurekesed, üle metsa, maa! Isa ette, ema taha, pojad keeru keskele!). Man glaubte die Kraniche würden damit wieder ihre rechte Position einnahmen. Da Kraniche tatsächlich während des Zuges ihre Plätze wechseln, konnten die Kinder meist tatsächlich „Ergebnisse“ ihres Rufens mit eigenen Augen sehen.
 
Zitat:
Wenn der Wind am St. Michaelstag, mihklipäeval, den 29. September, warm bläst, dann wird der Herbst warm sein, bläst er kalt, dann wird der Herbst kalt sein.
 
Übersetzung: Liis und Leonia


 

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