Fotos: Arne Ader
Wintersonnenwende bei Otepää: mit wunderbarem Licht und dick bereift
Gemeinsam mit der Katze Kõuts drücken wir unsere Nasen an die Fensterscheibe. Ein Sturm tobt. Jault. Singt ein uraltes Lied der Natur. Zweige, Blätter, eine flatternde Krähe fliegen vorbei. Die Begleitmusik ist erschreckend und gewaltig.
Die vier Wetterzeichen dieser Woche:
Herumstreunende Eber,
Heidelbeersträucher mit Blattknospen,
Kiebitze
und Weihnachtssturm Patrick.
Über das hellgrüne Estland fegt ein Sturmsohn einer Sturmtochter hinten nach, innerhalb eines Augenblicks wächst dem Burschen ein langer Bart, reisst Hunderte von Bäumen mit ihren Wurzeln aus, verschleppt riesig lange Kunststoffplanen aus den Städten. Die See steigt mit Patrick in Haapsalu und Narva-Jõesuu im Nu bis zu den Knien an. Die Strandparks von Pärnu schimmern von Meerwasser. Aber die erwartete Jahrhundertflut ist diesmal nicht in der Sturm-Hauptstadt eingetroffen. Die Leute sind enttäuscht und hasten zu einem plitsch-platsch-Spaziergang, mit ihren Stöcke hantierend, auf der Strandpromenade. Lachende Gesichter bei denjenigen, die kein Eigentum sichern mussten, die anderen bergen Gartenstühle in Nachbarsgärten, zersägen umgestürzte Bäume zu Feuerholz und harken Kunststoffteile und anderen Unrat aus den Gartenecken zu Haufen. Nur der Kiefernwald im Moor bietet eine Zuflucht vor dem Sturm. Tatsächlich hat man in einem Hochwald beständig Sorge, dass einem irgendwas auf den Kopf herunterfallen wird, aber zwischen nur wenige Meter hohen knorrigen Moorkiefern befindet man sich wie hinter Gottes Rücken. Das Moor selbst ist ganz ruhig und still, der Sumpfporst hat seine Blätter aufgerollt, alles ist grau und schlummert. Die Elchhaufen auf dem Pfad, der in den Torf getrampelt ist, zeigen, dass sich unser König der Wälder ebenfalls diese Zuflucht aufgesucht hat.

Höckerschwäne in stürmischer See
Weihnachtsblumen
Nach dem Verlassen des Moor-Schutzes gelangt man in einen rechten Frühling, die grünen Getreideschösslinge sind lang geworden, die Rapsfelder stehen immer noch gelb in ihrer Herbstblüte. Die Schafgarben-Blüten und die weiße Taubnessel ebenfalls. Vogelmiere ist saftig grün. Weiter hinten leuchten Weiden und Birken rötlich im schönen frühlingshaften Sonnenschein vor dem Hintergrund dunkelblauer Regenwolken. Die Blätter der Narzissen sind bereits schon eine Handbreit hoch. Heidelbeer-Züchterin Laima Ollin zeigt ihre Heidelbeerplantage und macht sich Sorgen, alle Knospen sind geöffnet, kleine rote Blatt-Öhrchen spitzen heraus. „Wenn diese Wärme anhält, dann schauen wir mit der nächstjährigen Ernte in den Mond.‟ Und das Thermometer pendelt bereits seit einer Woche zwischen 6 und 10 Grad Wärme. Das Schneewunder des Heiligabends ist weggetaut, triefend, bis zum Morgen des zweiten Weihnachtstages.
Nonnengänse machen während ihres Herbstzuges eine längere Pause auf westestnischen Feldern
Zeit der schwarzen Vögel
In den Lachen auf den grünen Wiesen und Küstenwiesen plantschen Schwäne, Kiebitze und sogar einige Nonnengänse herum. Vogelfreunde erfreuen sich an außergewöhnlichen Weihnachtsvögeln – die Amsel singt, Hausrotschwänzchen besuchen die Küstengebiete und um einen anderen schwarzen Vogel zu ergänzen muss ich von einer jungen, in diesem Jahr geschlüpften Krähe erzählen, die ich nahe Tartu in der Mitte eines smaragdgrün sprießenden Getreidefeldes sah. Die Meisen sind stiller in diesem Sturm-Kreisel, sie kriechen irgendwoher aus Rissen und Hohlräumen, kommen nur nach Sonnenaufgang und kurz bevor es wieder dunkel wird.
Flüchtende Keiler
Bruder Enn Vilbaste erzählt von einer unglaublichen Szene, ein großer Keiler, groß wie ein Bär, rannte über eine Wiese. Das Auto sehend zögerte er einen Augenblick, stürzte dann aber durch das Dickicht am Graben und hetzte unmittelbar vor der Fahrzeugfront quer über die Straße. „Wahrscheinlich waren Wölfe am Rande des Moores, weshalb der Keiler lieber die Schnellstraße wählte und das Autoungeheuer.‟ Wolfsaugen sind hier und dort in der Nacht hinter den Weidezäunen zu sehen, im Sturmgetöse hört man ihr Heulen nicht, aber der Vollmond wird ihren Gesang wieder wecken, der schnell untergehende junge Mond ist derzeit nicht so gut für ihr Treiben. Aber dass der Eber sich allein herumtrieb lässt vermuten, dass bei einigen Wildschweinfamilien bereits für den Weiterbestand der Sippe gesorgt wurde.
Sumpfschwertlilie treibt aus ...
Pilze aus dem weihnachtlichen Wald
Auch Pilze nutzen das milde Wetter. Eine Hausfrau soll mit mehreren Eimern gelber Trompetenpfifferlinge aus dem Wald zurück gekehrt sein. Einige kugelige Gallertbecherlinge sollen, so sagt man, aus dem Boden gespitzt haben. An Grabenufern kann man andere Pilze sehen, glücklich herauslugend. Aber in dem warmen, jedoch starken Wind sind keine Insekten mehr zu sehen, nur pelzige Raupen erheben hier und dort ihre Köpfchen.
Zitat:
Am Stephanstag, den 26. Dezember (Tabanipäev), sollte man eine Runde mit den Pferden drehen, um die Tageslänge schneller wachsen zu lassen. Die Ohren der Pferde werden mit Bier gewaschen.*)
*) Tabani oder Tehvanuse oder Stephanstag Tag der Pferde, auch aus katholischen Ländern bekannt. Den Pferden wird auch Bier zum Trinken angeboten!
Übersetzung: Liis und Leonia