Dritte Januarwoche: Schneegestöber und Schneeeule

Text: Kristel Vilbaste, loodusenaine@hot.ee
Fotos: Arne Ader
 
Die Samen in den Erlenkätzchen sind nun reif: das Winterfutter für Erlenzeisige ist bereit.
 
Kurzgefasst: wieder erstreckt sich um uns eine weiß gestreifte Welt. Innerhalb eines Tages türmte der Wind den Schnee zu hohen Wehen, so dass es keine so einfache Aufgabe ist, hindurch zu waten. Der Schneesturm schmiedete auch enge Freundschafts-Bindungen zwischen den Schneeflocken, und nun sind die Kämme der Schneewehen hart wie Beton.
 
Die vier Wetterzeichen dieser Woche:
hungrige Zeisig-Schwärme,
in Häuser eindringende Mäuse,
Abschied von den Weihnachtsbäumen
und Schneegestöber.
 
Das estnische Volk jubelt wieder. Der zu Weihnachten erwartete Schnee traf einen Monat verspätet ein, und die Schneeschaufelei konnte beginnen. Zumindest am Donnerstag vergangener Woche musste ich all meine im Dezember nicht geleistete Arbeit im Hof abarbeiten – kaum dass ich den Weg von einem Ende des Hauses bis zur Straße frei geräumt hatte, mich dann dem Hof zuwandte, um dort den Schnee zu schaufeln und zurück zu kommen, nur um festzustellen, dass all meine vorherige Schaufelarbeit bis oben hin mit Schnee zugeweht war. Und nicht nur das, auf dem Fußpfad hatte der Schneesturm eine Schneewehe parallel zum Haus aufgetürmt, und das so hoch, dass es schwierig war, hindurch zu stapfen. Die Wetterkarte zeigt jedoch in diesem Jahr eine ganz seltsame Schneeverteilung: Haanja und Otepää haben ihre winterliche Schneeration, mehr als 30 Zentimeter Schnee, erhalten. Aber es ist nur etwa halb soviel wie im vergangenen Jahr um diese Zeit. Aber die nordwestliche Küste des Peipussees und Pärnumaa sind seltsam schneefrei, zur Not kann man dort noch in Schuhen gehen. Die Spitze von Sõrve und Ruhnu genießen immer noch einen meeresnahen Herbst und haben keinen nennenswerten Schnee. Und mir scheint es bereits im zweiten Jahr so, dass auf dem Areal bei der Wetterstation von Võru, wo die Schneehöhe gemessen wird, jemand den Schnee mit einem Besen fortkehrt, denn dort liegt auch nur eine Schneedecke von 12 Zentimetern.
 
Zeisige mögen gern Thujen-Samen. Im Winter halten sich Zeisigschwärme oft in Thujen-Hecken auf.
 
Hungrige gefiederte Freunde
In diesem Schneegestöber kamen die Vögel wieder zu den Menschen auf Suche nach Hilfe. Seltsamerweise sogar schon vorher. Ich verstehe immer noch nicht, wie die Tiere eine Vorahnung von einem bevorstehenden Schneesturm haben können, aber einige Stunden, bevor die tosenden Winde losbrechen, sitzen alle Meisen auf dem Balkon, aufgereiht am Futterhäuschen. Ängstlich schlingen sie alles herunter, was sie kriegen können, selbst dass, was sonst verpönt ist. Daher trage ich am Morgen vor einem Schneesturm alles auf die Veranda, was vom häuslichen Frühstück übrig blieb – Reisbrei und Schafsspeck, am Ende sogar das Frühstücksmüsli. Während die tschilpenden Sperlinge sonst ruhig sind und sich abseits halten, ist nun der Boden der Veranda voll von ihren Spuren. Und ebenso wie sich die Wintervögel in der Nähe der Futterplätze sammeln, so sammelt sich dort auch die Bande der Räuber – die Sperber sitzen wieder auf der Lauer. Der Schneesturm brachte auch einige verlorene Kinder wieder zurück auf den Hof – Seidenschwänze und Zeisige. Es gibt hier sogar Zeisigschwärme mit hundert zwitschernden Vögeln.
 
Kennen Sie die Besucher am Futterhäuschen? Das Bild zeigt Grünfinken: im Vordergrund das blassgrüne Weibchen, im Hintergrund das Männchen mit leuchtend grünem Gefieder. Wie bei allen Finken fällt der kräftige Schnabel ins Auge.
 
Schnee-Gesandte aus dem Norden
Von Tallinn kommend sah ich vor einer Woche einen großen Schneebrocken auf der verschneiten Straße. Ich hatte gerade noch Zeit zu überlegen, auf welcher Seite ich vorbeifahren sollte, weil er groß genug war für ein wenig hochbeiniges Auto, als sich der Schneeklumpen in eine Schneeeule verwandelte. Genau der gleiche weiße, großäugige Vogel, wie Harry Potters Posteule. Der Vogel pickte an etwas auf der Straße herum, wahrscheinlich eine kleine Maus. Jedenfalls konnte die Gesandte aus dem hohen Norden hier ihren Reisehunger stillen. Diese Vögel kommen nicht in jedem Winter zu uns. Aber ich hatte nur einen kurzen Augenblick Zeit, dieses leuchtend weiße Bild in meine Erinnerung zu bannen, schon stieg der Vogel in die Luft, schwang sich mit seinen weißen Schwingen mit der wie mit blass-beigem Fischernetz bedeckten Oberseite höher hinauf. Der Vogel kreiste mit seinem großen Rumpf wenige Augenblicke lang und flog in Richtung auf die Klosterruine von Valkena davon.
 
Veränderungszeit für Fichten
Das abschließende Fest der Weihnachtsbäume in Tallinn hat mich nachdenklich gemacht. Seit Jahren schon sah ich die Fichten brennen, und während sie zu Feuerskulpturen werden, die Auwahl der Bäume der Hauptstadtbewohner. In diesem Jahr waren echte Fichten bereits in der Minderzahl. Silbertannen waren vermutlich am häufigsten, sie sind schöne, dicht benadelte Bäume, aber irgendetwas an ihnen wirkt künstlich. Ja, unsere eigenen Fichten neigen dazu, ihre Nadeln schnell zu verlieren, so war es umso überraschender, eine kleine Fichte mit reizenden hellgrünen Trieben zu sehen. Aber eines ist sicher – es ist die Saison der schwarzen Müllsäcke. Fichten werden nicht mehr vorsichtig an der Spitze getragen oder in eine Decke eingewickelt gebracht, viele warfen sie aus dem Auto zusammen mit dem schwarzen Plastiksack ins Feuer. Die Verpackungsindustrie habt uns ihr Credo aufgedrückt – wir kaufen die Dinge nicht mehr nur in einer Verpackung, sondern nutzen auch Verpackungen, um die Dinge wegzuwerfen.
 
Augen waschen in Emaläte.
 
Estlands Quellen: Emaläte in Taevaskoda
Eine Quelle von der die meisten Esten mindestens eine Handvoll getrunken haben ist Emaläte in Taevaskoda. Es ist wahr, das Trinken des Wassers aus dieser Quelle ist nicht wirklich das Rechte, weil es eine Augen-Quelle ist – das Wasser hat eine heilende Wirkung auf die Augen. Aber in den letzten Jahren habe ich Menschen mit Wasserbehältern vom Parkplatz hoch oben am Ahja-Ufer kommen sehen. Und sicherlich ist es keine Sünde, von dort Wasser in Zeiten knapper Trinkwasserquellen mitzunehmen. Ein fünfminütiger Spaziergang vom Saesaare-Speichersee entlang des Ahja-Flusses stromabwärts durch einen Wald mit 200 Jahre alten Kiefern und alten Fichten führt Sie zur Quelle. Die Quelle entspringt aus einer mannshohen Höhle aus schön rot-gelb-weißem Sandstein, die sich in der Dunkelheit verjüngt. Die Stärke der Quelle nimmt nicht einmal im Mittwinter ab. Zusätzlich zum erfrischenden Trinkwasser und heilender Augenwaschung kann man im frostigen Winter bisweilen einen leuchtend blauen Eisvogel über der heiligen Quelle fliegen sehen oder die darin eintauchende Wasseramsel.
Vielen Dank an alle, die auf meine Bitte zur Suche nach Trinkwasserquellen geantwortet haben, ich freue mich weiterhin über Zuschriften an diese Adresse: loodusenaine@hot.ee
 
Empfehlung:
Wichtige Angelegenheiten sollten bei Neumond begonnen werden. Der Anfang der Woche eignet sich gut für das Waschen der Kleidung und zum Schneiden der Haare. Es ist ein guter Zeitpunkt, Nadelbäume für den häuslichen Bedarf zu fällen und zudem die beste Jahreszeit dafür.
ZITAT:
Jeder möchte beim Anblick des neuen Mondes etwas in der Hand haben, denn dann ist es sicher, das bald Geld da sein wird. Gemeinde Paide.
 
 

Übersetzung: Liis und Leonia



 

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