Dritte Aprilwoche: Knospen springen im Frühling auf

Verfasst von Kristel Vilbasteloodusenaine@hot.ee
Fotos von Arne Ader
 
Der Võrtsjärv-See ist von seiner Eisdecke befreit. An den Laichplätzen des Sees quaken die ersten Grasfrösche.
 
IN KÜRZE: “Möh-öh-öh! Möh-öh-öh!” schallt es durch den roten Himmelsbogen: die Schnepfe hüpft vor Freude in der Frühlingsluft. Das kleine schwarze Lamm mäh-äht von der Wiese zurück, ebenfalls aus reiner Frühlingsfreude.
 
Die vier Wetterzeichen dieser Woche:
klapperndes Weißstorchenpaar,
eilende Frösche,
summende Hummeln
und schwarzes Seen-Eis.
 
Die gesamte Weide ist voller Lämmer, schelmisch laufen sie hierhin und dorthin, meist an Mamas Schwanzspitze, aber eine Gruppe – die Milchlämmer – bleibt unter sich. In nur einem Augenblick, kaum dass des Hütehundes wachsames Auge nicht zugegen ist, sind sie unter dem elektrischen Zaun hindurch und sausen Richtung Gartenbeete, alles Grüne wird abgeknabbert – und tatsächlich ist die Blattrosette des Löwenzahns schon beinahe handtellergroß. Auf der Wiese jedoch gibt es keinen einzigen Grashalm, der Boden ist abgegrast schwarz und schutzig. Aber der Garten ist voller grüner Vitamine, die Krähenfüße des Gierschs und die Nesselbuschen, es macht nichts, dass sie an manchen Stellen von den kalten Nächten gerötet sind. Sogar das Gras hebt die Köpfe nach dem nährenden Frühlingsregen. Zwiebeln und Schnittlauch sind handhoch. Die etwas weiter entfernt auf der Weide stehenden Birken haben bereits ein irgendwie schemenhaft grünen Ton. Bei näherer Untersuchung stellt sich heraus, dass sich zwischen den Knospen grün zeigt – jetzt ist die Zeit, in der man sagen kann, dass „die Knospen aufspringen”. Das ganze Vor-Grün wird begleitet vom überwältigenden Morgengesang der Vögel: Rotkehlchen, Stare mit hunderten Dialekten, Singdrosseln, Bachstelzen, Zilzalp, Rotschwänzchen, Buchfinken, Goldammern  ... und die Kraniche aus dem Moor stimmen ein. Das ist der Augenblick, an dem der Rest der Vögel keine Umstände mehr macht zu singen – das „Lied” der Kraniche ist lauter als alle.
 
Das Schellenten-Männchen ist in Balzlaune. Mit Gymnastik hofft er, die Aufmerksamkeit des am Eisrand sitzenden Weibchens zu erlangen.
 
Als ich am Samstag meine Lehrerin für Kindergarten-Lieder, Hille, besuchte, saß die erste Rauchschwalbe des Frühjahrs in ihrem Garten in Kilingi-Nõmme, unser Nationalvogel mit langem wundervollem Gehrock und roter Krawatte. Nun können die warmen Tage beginnen, die warmen Herzschläge der Schwalben machen das Wetter sowohl in uns als auch draußen warm. In Tartu in meinem Garten überschlägt sich ein rostbäuchiger Steinschmätzer: „Täks-täks, hol Steine, bau eine Mauer”. Acht große Kernbeißer spielen unter unserer Hecke. Es ist schon drollig zu sehen, wie der große, stämmige Vogel sich nahezu vor seinem Weibchen auf den Bauch wirft, die Flügel auf den Boden schlagend. Meist wird dies von einem heftigen Kopfschütteln der grauköpfigen Dame beantwortet, aber manchmal wird der Tanz auf dem Rücken der Dame fortgeführt.
 
Die Weißstörche sind jetzt in der Natur besonders gut zu sehen. Auf jedem Nest sind sie zu zweit. Die Vogelfreunde verbreiten in ihren Listen die Information, dass sie unmittelbar nach der Ankunft eine Woche lang im Nest hocken und nach dem langen Flug Atem schöpfen. Nun beginnt ein heftiges Nestbauen, das Weibchen scheint bereit ruhiger zu werden, vermutlich ist sie bereits mit der Eiablage beschäftigt. Auf jeden Fall freut sie sich über jedes Heubüschel, dass ihr der Gefährte ins Nest trägt; Schnabel klappernd verteilt sie es unter ihre Leib, von Zeit zu Zeit wird auch das Paarungsritual unternommen. Die Störche haben jedenfalls ein ernsthaftes „Teeme ära – Auf geht's”-Unternehmen* auf den Bauernhöfen, alles was herumliegt, wird auf den Horst hinauf geschafft.
*) talgud = Gemeinschaftsaufgabe, aus dem traditionellen Hof- und Dorfleben stammend
 
Milben haben sich wie eine dichte Kette am Hals einer überwinternden weiblichen Hummel festgesetzt. Die kleinen Krabbler schaden der Hummel nicht. Aber sie fliegen mit, bis die Hummel ein neues Nest baut. Dort bleiben die Milben als Reinigungspersonal, sie leben vom Abfall des Hummeldaseins.
 
Bauerngärten werden auch von anderen besucht, Bären sind sehr interessiert am Inhalt der Bienenstöcke  – so sehr, dass Imker elektrische Zäune um die Bienenstöcke bauen. Andere Waldbewohner bleiben meist am Ort, zeigen sich aber nicht, die Zeit vor der Niederkunft hält sie im Versteck. Statt dessen sind Schlangen und Eidechsen unterwegs, sie sonnen sich gern in der Wärme der Frühlingssonne. Der Froschzug ist in diesem Jahr merkwürdig. Frosch-Forscher Riinu Rannap erzählt, dass zum Beispiel in Matsalu die Grasfrösche bereits gelaicht haben, aber in West-Virumaa haben sie noch nicht einmal begonnen, es ist immer noch Eis auf den Laichgewässern. Am Võrtsjärve-See war die Straße voll dahingeschiedener Hüpfer, aber lebende waren keine zu sehen. Das Regenwetter hat die Regenwürmer herausgetrieben, aus dem nassen Boden kriechen sie zum Atmen heraus auf Asphalt und Steinplaster, wo die vor dem Sturm Schutz suchenden Möwen die Mahlzeit genießen.
 
Das das Eis auf den Seen noch immer stark und mächtig ist, sah ich sogar in Süd-Estland, neben dem bereits mit blühenden Leberblümchen geschmückten Kiidjärve-Park atmete silbrigweißes Eis des Sees Kälte. Der Peipussee hat Eismassen bis fast zur estnischen Küste aufgehäuft; der Eishecht hat wohl schon unter dem Rand des Eises gelaicht, der in den Geschäften verkaufte Hechtrogen ist der Beweis. Aber die Angelruten der am Ufer des Mustjõe sitzenden Fischer bewegen sich noch nicht so schnell. Kleine Eisberge finden sich an der Spitze einer jeden hervorragenden Landspitze, das blassblaue Eis mit langen Eiszapfen ist noch immer so stark, dass es noch nicht einmal von einem hineingeworfenen Stein zerstört wird. Das Wasser ist überall unglaublich niedrig, der Peipussee ist hundert Meter von seiner üblichen Frühjahrsflutlinie weg, in Võrumaa sind mancherorts noch die Brunnen trocken.
 
Empfehlung: Alles, was jetzt aus der Erde sprießt, ist es wert, gegessen zu werden, zum Beispiel sind in Nesselsprossen 2,5 mal mehr Vitamin C als in Zitronen enthalten. Man nehme eine Schüssel junger Brennnesselblätter, übergieße sie mit heißem Wasser, lasse sie abtropfen, zerreibe sie fein. Gebe Öl und gehackte Eier, Zwiebelgrün und Sauerrahm dazu und ein delikater Nesselsalat ist fertig. Ein rechter Energie-Salat kann wie folgt gemacht werden: man weiche junge Löwenzahnblätter in einer Salzlösung 30 Minuten lang ein, schleudere trocken und hacke sie. Man mache siemit Sauerrahm oder Öldressing an, zu dem man ein wenig sauren Saft hinzufüge (zum Beispiel Johannisbeer-Saft). Sauerampfer-, Brennnessel- und Schlüsselblumenblätter können hinzugefügt werden.
 
Die Fruchtkörper der Boviste haben den Winter gut überstanden. Aus den Öffnungen an der Spitze werden Sporen freigesetzt, die der Frühlingswind fortträgt.
 
ZITAT:
Lõoke toob lõunasooja, pääsuke toob päevasooja, ööbik öösooja. – 
Lerchen bringen Mittagswärme, Schwalben bringe Tageswärme, Nachtigallen Nachtwärme.
 
Estlands Quellen: Emajõe-Ursprung
Am nordöstlichen Hang des Väike Munamägi (in Richtung Otepää) ist eine Quelle, die seit Urzeiten für den Ursprung des Väike Emajõe-Flusses gehalten wird. Steigt man den Pfad etwa 100 Meter hinauf, erreicht man eine mit Steinen eingefasste Senkungsquelle mit einem Durchmesser von 1,5m. Der aus der Quelle gespeist Bach fließt durch eine Schlucht den Hang hinab. Das Wasser erreicht den Pühajärv bei Sulaoja. Die Quelle wird für den Ursprung des Emajõgi gehalten, aber tatsächlich ist sie nur eine der Quellen, die den Pühajärv-See speisen. In der Nähe der Quelle am terrassierten Hang des Munamägi ist ein großer Findling – Kalevipoegs Stein.
 
 
Übersetzung: Liis und Leonia


 

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