Kindheit mit Wölfen

Erinnerungen erzählt von  Jüri v.Grauberg
Foto: Bert Rähni, www.360.ee
 Übersetzung ins Englische: Liis
Übersetzung vom Englischen ins Deutsche: Brit

Fotografiert in Pärnumaa, Januar 2011

In den frühen 50-iger Jahren des vorigen Jahrhunderts gab es sehr viele Wölfe in Estland. Haarsträubende Geschichten wurden erzählt, zum Beispiel, dass Wölfe Einen, der spät von einer Party wegging, auf dem Heimweg irgendwo getötet haben und dergleichen mehr. Deshalb fanden wir Schulkinder  es interessant und etwas beängstigend am Morgen auf Skiern in die Schule zu gehen, und dabei frische und immer wieder frische Wolfspuren  in der Nähe der Skispuren zu sehen. Manchmal überquerten mehrere neue Spuren den Ski Pfad.  Und natürlich verschwanden viele Hunde von den Bauernhöfen in Wolfsmäulern. Unser Muri konnte dem auch nicht entgehen. Später fanden wir seinen Schädel und eine Pfote auf dem Feld in der Nähe seines Zuhauses. Ich erinnere mich daran, dass wir sogar mehrmals Wolfsspuren im Schnee in der Nähe unseres Kuhstalls entdeckt hatten.
 
Es gab Gelegenheiten, bei denen ich und meine Schwester früh am Morgen zur Bushaltestelle unterwegs waren und uns ein    Wolfspaar um die Ecke der Scheune beobachtete. Mutter hat immer laut gerufen – Whooah, Wolf! – woraufhin die Tiere gemächlich über das Feld, in Richtung zum in der Ferne liegenden Wald, davontrabten. Ich und meine Schwester machten kehrt und leuchteten aufgeregt mit unserer Taschenlampe in die Sträucher am Straßenrand, hasteten durch den Wald in Richtung der Straße wo unsere Schulfreunde schon an der Bushaltestelle warteten. Und die Fälle, in denen ein Paar glänzende Augen, als Antwort auf den Strahl unserer Taschenlampe aus den Sträuchern in die Dunkelheit leuchteten, waren nicht selten. Wir wussten nicht, ob die Augen zu einem Fuchs gehörten, einem Wolf oder einem anderen Tier. Es war auf jeden Fall etwas beängstigend.
 
Einmal begegnete ich von Angesicht zu Angesicht im dichtesten Teil des Waldes, einem Wolf, als ich aus der Schule kam und ziemlich nahe an Zuhause war. Zuerst realisierte ich gar nicht, dass es ein Wolf war und rief – Hündchen, Hündchen, Hündchen – wobei ich mich fragte, wessen Hund das sein könnte? So ein hübscher! Wir starrten uns auf Augenhöhe einige Minuten an, dann sprang er plötzlich von der Straße und verschwand zwischen den verschneiten Fichten.  Ich beeilte mich die Spuren anzuschauen und mir war sofort klar, wem ich gerade Auge in Auge gegenüber gewesen war! Ich fing vor Angst an zu schreien und rannte so schnell ich konnte nachhause. Ich erinnere mich noch an die wachsamen, gelblich-grünen Augen des Wolfes…
 
In den fünfziger Jahren wurde den Jägern ein Bonus für das Erschießen von Wölfen gezahlt und nach und nach wurde die Wolfspopulation unter Kontrolle gebracht. Gegen Ende der Fünfziger wurde nicht mehr so viel von Wölfen gesprochen wie vorher, doch eine interessante Geschichte möchte ich noch hinzufügen.
 
Zusammen mit meiner Schwester hüteten wir, in der Nähe von Zuhause, die Schafherde der Kolchose auf einem großen Feld, das an der einen Seite von Hain, etwa hundert Metern im Durchmesser,  überwuchert war. Steine von den Feldern waren dorthin gebracht worden, und manchmal kletterten wir auf die Steinhaufen, die voll von Krähenbeer Sträuchern waren. Die Kolchose Schafe grasten friedlich auf dem Feld. Wir hatten, zu Beginn des Sommers,  gelegentlich Wolfsgeheul aus dieser Ecke gehört, doch wir konnten nicht ausmachen, wo genau die Höhle sein könnte. Wir haben niemals einen von ihnen gesehen, und keines des Kolchose Schafe wurde getötete. Es war nicht vor dem Herbst, als Jäger eine Wolfshöhle in diesem Hain entdeckten, doch da waren die Wölfe längst weg…


 

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