Die Geschichte der Woche

Wochengeschichte (Kristel Vilbaste).

Zweite Februarwoche: Sonnenstrahlen erreichen den Boden

Text: Kristel Vilbaste
Foto: Arne Ader
 
Schneegestöber
 
Die Kältewelle ließ ein Sonnenband herab. Am frühen Abend und zu Beginn der Morgendämmerung verlief an diesem Wochenende ein blutroter Strahl vom Sonnenball herunter auf den Schnee, als wolle er versprechen: Ich werde Euch wärmen, wir werden den Frost besiegen!
 
Zu Wochenbeginn schaffte es die Sonne, den Boden so zu erwärmen, dass in Pärnumaa der Erdboden an der Hauswand bloß lag und die Kinder meines Bruders ein Schneeglöckchen von der Größe einer Fingerspitze im Gartenbeet fanden, aber das Ende der Woche änderte die Temperatur völlig . . . Der knirschend verharrschte Schnee lässt keine Blumenkinder hindurch, aber er kann ebenso wenig einen ausgewachsenen Menschen mehr als 3-4 Schritt weit tragen. Aber Skifahren geht wunderbar, und gerade jetzt könnte man die längsten Schlittenfahrten unternehmen. Der Schneesturm überzog nur in Südwest-Estland die Straßen mit einem dichten Schneeschleier, im Osten schien die Sonne und nur örtlich tobte ein tanzendes Schneegestöber vom Rand der Schneewehen. Aber der Frost — der Frost zwickt überall in Estland die Nasenspitzen. Am Samstag auf dem Tuhamäe-Sängerfest bekam Aotäht auf einem nur kurzen Ausflug zu den Steinhügeln zwei herzförmige weiße erfrorene Flecken auf den Wangen, aber am Valentinstag waren sie wieder weg.
 
Die Ankunft der Schneeglöckchen
Vor der noch ausstehenden Frühjahrsaugenweide der Schneeglöckchen sind derzeit alle Grabenufer und Dickichte dicht mit kleinen weißen Weidenkätzchen übersät, die es in diesem Jahr ungewöhnlich reichlich gibt. Die Hasel- und Erlenkätzchen waren am Anfang der Woche ebenfalls schon lang und biegsam. Wälder und Parks zeigen ein solch freudiges Frühlingserwachen, dass es eine Bande Saatkrähen verlockte, in Toomemägi in Tartu einzufallen und dann lautstark ihre Nester zu inspizieren. Die Horste der Weißstörche hingegen liegen noch unter einer solch dicken Schneehaube, dass es aussieht, als könne sie vor Mittsommmer kaum abgeschmolzen sein, nicht einmal von hitzigen Kehrseiten der aus Ägypten im April heimkehrenden Männchen. Aber alle nördlicher nistenden Vögel — Birkenzeisig, Dompfaff, einige Seidenschwanz-Schwärme — sind nach wie vor hier und picken ausdauernd die Samenernte unserer Bäume vom Boden auf.
 
Seidenschwanz frühstücktend in einem Schneefall-Busch (Viburnum)
 
Auerhuhn-Balz
Von den Frühjahrs-Nestbesetzern und -Flötern hörte man als erstes die zurückgekehrten Stare, aber vermutlich wird sie die Kälte, mehr als -20 Grad, ihre Schnäbel wieder in die andere Richtung kehren lassen. Am Alam-Pedja Naturreservat sah Pille Tammur einen Auerhahn in der Mitte einer Straße fröhlich schnabelknappend und seinen Frühjahrsbalztanz vorführend. Die Bälztänze des Wildgeflügels könnten jedoch etwa verfrüht sein. Aber die Raben fliegen bereits nur noch paarweise herum und ihre Balzflüge werden von fröhlichem Gekrächze begleitet. Als ich mit Aotäht zum Elsternest am Rande des Haines ging, um dort nachzuschauen, war da noch nichts geschehen. Und die Spechte sind aktiver geworden, das ist wahr, aber ihre Trommel-Soli sind noch nicht zu hören gewesen, und wenn, dann überhaupt höchstens auf einem Stück Schwarte.
 
Herumtollende Eichhörnchen
Am Mittwoch folgten Aotäht und ich der Fährte eines Fuchses zur Küste, bislang verlief keine zweite Spur neben ihr, wie man aus manchen Orten Estlands bereits hörte. Aber Meister Fuchs hatte jeden einzelnen Stein und aus dem Schnee ragendes Schilf besprüht. Auf dem Skihügel hatte eine rechte Party stattgefunden, ein Eichhörnchen war herumgetollt, der ganze Hügel war voller fächerförmiger Spuren. Es war offensichtlich nicht nur ein Tanz um des Tanzens willen gewesen und seltsam — letztendlich hatte es sich auf des Nachbars Strandschaukel niedergelassen und dort einen Zapfen gründlich ausgeleert, und nicht ein einziges Kiefersamenkörnchen war auf der Bank oder auf dem Schnee zu sehen, sie waren alle vernascht worden. Das Tauwetter zu Wochenbeginn verleitete in Tartu den ersten Igel zum Schneespaziergang; Marderhunde wurden wie zuvor schon gesichtet. Aber die Hufe des Rehwildes sinken durch die verharrschte Schneedecke und sie, arme Dinger, stehen bis zum Bauch im Schnee.
 
Die ersten Saatkrähen sind an ihren Nistplätzen in Tartu Toomemäe angekommen
 
Das letzte Krabbeln der Spinne
Das helle Frühlingslicht verlockte die Spinnen bei uns im Hause dazu herum zu laufen – die Zebraspringspinne (Salticus scenicus) kroch in Eile unter die Tastatur meines Klaviers. Mmm, ja. Aber am Samstag pickte der rote Hahn all' diese tapferen Burschen weg. Zu viele Bauernhöfe brennen zur Zeit ab und aus unerklärlichen Gründen, und viele von ihnen sind recht gut instand gewesen gemäß allen Euro-Normen und Vorschriften. Und immer wieder gibt es nicht genügend Wasser für die Fahrzeuge der Feuerwehr, es gibt einfach nicht genug Zapfstellen, von denen sie Wasser entnehmen könnten. Daher bleibt ihnen nichts anderes übrig, als mit dem mitgebrachten Wasser die Aussenwände zu bespritzen; aber im Innern vollendet auch das kleinste Brandnest sein Werk bis zum bitteren Ende. Für einige Zeit werde ich deshalb keine Neuigkeiten mehr aus dem Dorf Vilusi von Estlands Ostgrenze mehr senden, aber ich werde meine Augen, wo immer ich hingehe, offen halten, und es gibt gewiss viele beeindruckende Naturgebiete, die es wert sind, über sie zu berichten.
 
Gefrorener Emajõgi-Flus am 12. Februar 2011, bei Kärevere


 

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